Vanja Michailova-Simeonova: Es wird niemals Freude sein – Gedichte. Norbert Büttners Rezension mit Blick auf die Konzertlesung am 18.11.2016

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Norbert Büttner mit Rezension zu Vanja Michailova: Es wird niemals Freude sein
Michailova, Vanja: Es wird niemals Freude sein. Gedichte. Mit einem Nachwort von Reinhard Rakow
Norbert Büttner Altenbraker Straße 20 12053 Berlin

Rezension
 Vanja Michailova: Es wird niemals Freude sein, Geest Verlag 2012, 190 Seiten, ISBN 978-3-86685-357-7, 12 EUR
Vanja 18
I.
“Ich trage eine Bombe/ in meinem Bauch/ und die Zündung zwischen den Zähnen…“
Der Kapitalismus ist eine soziale Kraft, die um der Profitmaximierung willen alle Verhältnisse, Einrichtungen und Bewußtseinszustände umwälzt, zerstört, zertrümmert und neu erschafft. Sein Wesen ist Disharmonie, seine Lebensform die Krise. Ruhe ist für ihn nur eine Vorphase des Todes. 
Der Mensch im Kapitalismus ist wie der Nerv eines Organismus, der immerzu gereizt wird. Sein Dasein – und es ist dabei völlig egal, auf welcher Stufe der sozialen Leiter er sich befindet, ob ganz unten als Lohnarbeiter oder ganz oben als Finanzkapitalist oder ob er ins Nichts hinabgestoßen wurde als Bohemien oder Lumpenproletarier ist ein fortwährnder Exzeß, ein nie abreißender Beschuß mit Sinneserregungen und Informationen, eine fortgesetzte Attacke auf körperliche und seelische Gesundheit. In diesen Verhältnissen gibt es auf Dauer kein Auskommen und aus ihnen keine Flucht. Wenn ihre Abschaffung mißlingt, können sie nur mit Betäubungsmitteln halbwegs ertragen werden. Das Ritalin des Kapitalismus ist der Konsum, unmäßiger, geistloser, überflüssiger, aber blendender Konsum.
Aber jede Bedrückung erzeugt auch Widerstand, ruft spontane Revolten hervor, die sich in der Kultur spiegeln.
 In der Kunst, in der Literatur erzeugte die Expansion des Kapitalismus wie eine konvulsivische Folge von Explosionen und Eruptionen eine Vielzahl einander ablösender Bewegungen und StiIrichtungen, die alle als Rebellion begannen, aber nach einigen Jahren eingefangen und, waren sie erst einmal abgestumpft, in das Arsenal der sozialen Betäubungsmittel eingereiht wurden.
 Der exzessive Aufschrei der empörten Menschlichkeit ist der Expressionismus. Der Mensch, aus der Sicherheit seiner Verhältnisse und der ihnen entsprechenden Vorstellungen, Konventionen und Traditionen gerissen, empfindet sich als offene Wunde und schreit es heraus. 
Der Expressionist ist kein stiller Dulder. Er hasst die Gesellschaft, die ihn peinigt; er hasst die offiziell gepredigte soziale Ruhe, die wie ein Leichentuch Kunst und Kultur Liberzieht. Hier ist etwas faul, ruft er. Sein Nihilismus ist der rohe Griff, der die Schutzverbände von den Wunden der Gesellschaft reißt. Er zerstört alle Harmonie in der Kunst und baut sein Werk aus diesen Trümmern.
 Seine Revolte erscheint so überwältigend, weil sie elementar ist. Auch wo er sie theoretisch zu durchdringen und zu verarbeiten versucht, verläßt er nie den Bereich spontaner Auflehnung. Bewußtheit – das ist für ihn wie ein Kerkergitter, das seine Sinne und Regungen ein- schliesst.
 Die Welt, so stellt es sich ihm dar, ist ein Irrenhaus, dessen gefähr-lichste Insassen die Ärzte sind und in dem der sogenannte normale Bürger der ärmste, weil unwissenste Patient ist. Nur wer sich als krank erkennt, kann in diesem Universum normal handeln.
Vanja 11
II.
“Ich stehe/ auf der falschen/ Seite der/ Tür:/ draußen …“
Der Expressionismus hat auch nach Bulgarien ausgestrahlt und in Geo Milew einen bedeutenden Dichter gefunden, der ihm ganz eigene Facetten verliehen hat.
Und wenn diese Bewegung auch schon seit Langem in den Literaturkanon eingegangen ist, wenn sie auch schablonisiert und musealisiert wurde und die Kennzeichnung eines heutigen Künstlers als expressionistisch beinahe immer nur die Hervorhebung einer besonders pikanten Geschmacksnote für den vermögenden Genießer bedeutet – im Untergrund arbeiten ihre Anstöße weiter, drängt sie immer wieder ungestüm ans Licht. 
Vanja Michailova ist ein Nachfahre des Expressionismus. Wenn sie sich auch wahrscheinlich nicht absichtlich in seine Spuren stellt, so lebt er dafür um so stärker in ihren Gedichten. Geboren und aufgewachsen in Bulgarien, ist seit einem Vierteljahrhundert Deutschland ihr Zuhause. Ihre Texte wirken so eindringlich, weil sie aus dem Rahmen der üblichen, entweder neuromantischen oder ästhetizistisehen Lyrik herausfallen.
“Tornados aus Dynamit/ fallen/ von dem strahlenden Himmel herab/ zerschellen/ zerbrechen/ zersprengen/ zerschmelzen/ zerfetzen/ das Gesicht dieser Stadt…“
Es ist der Druck geborstenen Lebens, dessen Trümmer noch auf ihr lasten, der die Initialzundung für diese lyrische Explosion abgibt. Frau Michailova geht dabei ganz von ihrer subjektiven Sicht aus, deren Grenzen sie auch nicht überschreitet. Ihre Revolte ist privat. Ihr Schreiben schließt sich nicht den deutschen Expressionisten an, die ihre Auf- und Ausbrüche gern in tradierte Formen – vor allem ins Sonett – einbanden. Sie folgt mehr dem freien Vers des bulgarischen Expressionismus, der sich nicht gegen die Vorherrschaft einer klassischromantischen Tradition auflehnen und dazu deren Gedichtformen verzerren und travestieren mußte.
In immer neuen Anläufen, stakkatohaft hämmernd, ekstatisch beschwörend, in unzähligen Zornausbrüchen und Selbstbezichtigungen malt sie das Bild eines Individuums, dessen Welt zersprungen ist.
“… hatte mich gerade umgebracht/ getötet/ ermordet/ erwürgt/ erdrosselt/ erhängt/ geköpft/ stranguliert…“
Verzweiflung, Gekränktheit, Wut und Auflehnung sprechen aus diesen Gedichten, aber nur ganz selten Resignation. Wenn Frau Michailovas Blick auch fast nur auf ihre Person gerichtet ist, so bekommt er doch nie etwas Solipsistisches. Es äußert sich kein Narziss, der nur: Ich, ich, sagt und denkt. Es ist ‚ein Mensch, der um sein Menschsein ringt.
“Ich höre draußen die Welt/ reden/ streiten/ toben…/ Doch ich bin nicht Teil davon./ Ich bin ungeboren./ Ich bin allein…“
Ihre Gedichte halten sich immer am Rande der Gattung. Sie sind lyrische Prosa, aber auch dramatischer Monolog und es fehlen nicht anekdotische und parabelhafte Anklänge. Die Gattungsgesetze werden sehr oft verletzt. Damit wird aber auch die feste, abweisende Hülle, die ästhetische Konvention um die Lyrik errichtet hat, zerstört. Frau Michailova zieht ihr Skalpell durch das Netz der faden Gewohnheiten.
“Ich darf dir/ zwei Sachen nicht/ sagen./ Daß ich dich/ liebe/ und daß du mich/ schmerzt…“
Im Zentrum ihrer Lyrik steht die Liebe. In ihr erfährt sich die Persönlichkeit ihrer Gedichte als humanes Wesen, aber sie wird auch mit der Welt konfrontiert, die ihr in Gestalt eines anderen Ichs entgegentritt. Die romantische Liebe, von der sie besessen ist, kann nur mißlingen. In einer Gesellschaft, wo alles Ware ist, werden zu Waren auch die Beziehungen, die Liebe, spielt sich alles nur noch um Nehmen und Besitzen ab. Die Ware Liebe, deren krassester Ausdruck die Prostitution ist, erdrückt die wahre Liebe, die ein Geben und Beschenken ist.
Dennoch liebt der Mensch, weil seine Existenz es verlangt, liebt rückhaltlos und verrennt sich lieber als zu verzichten, auch wenn er ahnt, daß es nur katastrophal ausgehen kann.
“Und/ Asche./ Weiße Asche./ Weiche weiße Asche./ Ein zärtlicher Kuß auf den Mund…“
Die Bewegungen des Lebens, die in diesen Gedichten anschaulich werden, sind immer Äußerungen des Schmerzes.
 

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