Querklang am Berghang mit Dorle Ferber: das geschieht in Heidelberg Schlierbach am 29. April 2016. Die Spurensuche des ehemaligen Abteilungsleiters der Kontrabässe im Philharmonischen Orchester Heidelberg hört nicht auf. Neugier macht immer wieder fündig: Hier: Dorle Ferber.

Dorle Ferber: Es gibt kein Geld, vielleicht ein paar Spenden des Publikums. Wenig Aussicht auf Erfolg in der Bergkirche. Sie kommt trotzdem. Michael Schneider freut sich darüber sehr. Hätte sie der “ Heidelberger Frühling “ oder “ Enjoy Jazz “ eingefangen, dann dürfte sie jetzt nicht mehr bei oder mit mir auftreten. Gelobt sei die Kleinheit im Finanziellen – nicht im Geist und der Vorstellungskraft des Unmöglichen.

Profis zu Besuch – der Philharmoniker Michael Schneider bringt seine Leser auf den neuesten Stand über die berühmte “ Breite Seite Nummer drei „.

Über den heutigen Mittwoch ist zu berichten, dass auf jeden Fall die Security Männer vollzählig anwesend waren – Sie merken schon, hier spricht der deutsche Pedant.
Die Flüchtlinge, die jungen Männer sind jedenfalls sehr wohlerzogen und hilfsbereit. Kaum verlasse ich den Wagen und beginne meine vielen Instrumente auszupacken, schon gibt es hilfreiche Hände, die mir alles abnehmen und in den Vortragsraum tragen. Das war jetzt bei jedem Besuch so. Aber in meinem Musizierraum herrscht gähnende Leere. Trotz bewölktem Himmel und nur 11° im Freien sehe ich keine Zuhörer und es wollen sich heute auch keine einfinden.
Letzte Woche noch wollte jemand unbedingt Cello lernen und ich versprach ihm, eines mit zu bringen. Und der Afrikaner der so gut Djembe spielt, das hatte er mir letzte Woche auf seinem Handy mit einem Musik Film bewiesen, der wollte heute unbedingt mit mir improvisieren mit der Djembe, die ich mitbringen sollte. Beide waren heute nicht da.
Wenn ich 20-jährige Männer aus Syrien und Afghanistan noch als Pubertisten bezeichnen darf, dann handelt es sich anscheinend tatsächlich um solche – meine eigenen Pubertisten haben sich auch öfters mit ihrem Vater verabredet und es dann schlicht weg vergessen, obwohl ich für sie gekocht hatte, beziehungsweise haben sie ganz spontan eine Verabredung abgesagt. Ich will damit sagen, ich nehme das alles sehr gelassen und bin nicht nachtragend.
Aber meine beiden Gitarrenschüler erschienen und noch ein dritter, der Syrer, Abdul Rahman.
Also beschloss ich, dass wir 120 Minuten, das sind zwei volle Stunden, Gitarrenunterricht machen.
Abdul Rahman hat sich aber noch bevor er eine Gitarre in die Hand bekam vorgestellt, dass er doch dann dreimal in der Woche Unterricht haben möchte. Ich erklärte den dreien, dass ich zu geizig sei um dreimal in der Woche nach Sinsheim zu fahren. Zweimal würde ich durchaus investieren, aber das dritte Mal müssten sie nach Heidelberg kommen.
Die Lösung für die dritte Stunde hat sich dann im Unterricht von selbst angeboten. Mir kam die Idee, dass sie die dritte Stunde selbst gemeinsam durchführen sollten, indem jeder dem anderen hilft, bis zur nächsten Unterrichtsstunde mit mir alle drei auf das gleiche Niveau zu bringen, damit wir alle auf gleichem Niveau gemeinsam in den Fortschritt starten können. Zwischendurch rief dann noch der Imam zum Gebet. Der kommt heute – ganz modern, oder wie sagt man: up to date – aus dem Handy, so als Klingelzeichen. Das hat mich an die mongolischen Mönche erinnert, die ich vorher schon erwähnt hatte.
Werde ich alt? Der Name Asim, der war gleich bei mir angekommen, aber Malikzada oder Abdulrahman, die musste ich mir erst einmal notieren und nachlesen. Ich weiss jetzt auch wieder, wie sehr sich meine jungen Freunde bemühen. Weiss aber auch, wie schwer Neues und Komplexes in ein unbetretenes Schneefeld im Gehirn zu einem leicht gangbaren Pfad umzuwandeln ist.

Querklang am Berghang mit vielen Gästen. Der Kontrabassist Michael Schneider konzertiert mit dem syrischen Geiger Ali Moraly, u.a. den Tango de Lisboa von Uli Johannes Kieckbusch. Freitag, 29. April 2016, 20.00 Uhr Bergkirche Heidelberg-Schlierbach Wolfsbrunnensteige 7.

Image 05.04.16 at 22.52 Uli Johannes Kieckbusch
Mit dabei Dorle Ferber, Violine und Stimme, eine besondere Improvisations-Geigerin, die sich heute einen lang gehegten Wunsch erfüllt: einen Impro-Abend mit
arkestra convolt und den neuesten Kompositionen von Uli Johannes Kieckbusch.
Doch auch Dorle Ferber steuert drei Kompositionen bei. Damit der Klangrausch noch weiter gesteigert werden kann, wirkt außerdem mit: Sora Park, Viola. Noch gut in Erinnerung vom Konzert im letzten Jahr mit „ViolaBaSoniKa“, welches wegen des großen Erfolges im Mai wiederholt wird.
Image 05.04.16 at 22.52 (6) Dorle Ferber, Violine und Stimme
Und einen weiteren Gast begrüßen wir an diesem Abend, die Sopranistin Venicia Randola. Für sie und das gesamte Ensemble hat Uli Kieckbusch zwei Fernando Pessoa Gedichte vertont. Von Uraufführung zu sprechen erübrigt sich, alle komponierten Stücke stammen aus der Feder des Urgroßneffen von Johannes Brahms.
Der alte “Brahms“ hätte bestimmt Gefallen an diesen familiären Kompositionen, würde sie vermutlich als die konsequente Fortführung der Ungarischen Tänze einstufen.
IMG_6323 Sora Park, Viola
Ganz kurzfristig und spontan hat die Sängerin Paulina Tyszka ihr Kommen zugesagt. Michael Schneider hat sie kürzlich in Darmstadt anlässlich eines Abschlusskonzertes einer Tagung für Neue Musik gehört und ihm war sofort klar: Paulina Tyszka singt “ Neue Musik „ so lebendig und geschmackvoll kreativ, sie muss nach Heidelberg kommen, bevor andere sie entdecken. Und das wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Paulina 7 Paulina Tyszka, Gesang
Und natürlich mit dabei, das gesamte Quartett “ arkestra convolt, unter dem Motto: “ global, quer, instrumental „.
arkestra convolt - Mosbach arkestra convolt

Der Profi zu Besuch – Klappe die vierte: Vorhang auf für Entspannung. Der Profi Michael Schneider und sein Publikum.

Morgen ist es wieder soweit, der Profi Michael Schneider spielt Cello und Bass im Flüchtlingsheim “ Breite Seite Nummer drei „. Bevor wieder Musik von Johann Sebastian Bach erklingt und diesmal auch modernere Cello Musik angeboten wird, hier einige Anmerkungen zu meinem Publikum in Sinsheim und Erwartungshaltungen hier und anderswo.
Je öfter ich für Flüchtlinge spiele, desto bewusster wird mir, dass ich vom Philharmonischen Klassik Betrieb in 35 Jahren sehr geprägt wurde.
Dass ein – sehr netter und aufgeschlossener – junger Mann aus Gambia 70 Minuten lang mit seinem Handy beschäftigt ist, das irritiert zunächst. Ich hatte bereits erwähnt, dass er das aber nach jedem Stück durch begeisterten Applaus und ein strahlendes Gesicht wieder wett gemacht hat. Bei anderen mussten eingehende Anrufe angenommen werden. Immerhin, oder besser gesagt: es war für die jungen Männer selbstverständlich, für die Dauer des Gesprächs den Raum zu verlassen.
Ich sprach mit Walter Pfundstein darüber, woraufhin er mir von einem buddhistischen Kloster in der Mongolei erzählte, das er besucht hatte. Da war es für die Mönche ganz selbstverständlich, dass sie mitten in ihrem Singsang das Handy zückten und sogar der Vorbeter musste zwischendrin mal sein Handy auf stumm schalten.

Da fällt mir sofort das Konzert mit Yasmina El-Boazzati in der Evangelischen Bergkirche Schlierbach vom 4.3 2016 ein. Yasmina hatte einige ihrer Freunde und Klassenkameraden eingeladen. Yasminas Texte und Geschichten waren nicht die leichteste Kost und die Musik , die Walter Pfundstein, Kontrabass und Michael Schneider, Violoncello von dem New Yorker Komponisten David Loeb spielten, war sehr intensiv. Eine junge Frau verliess mitten im Konzert die Kirche – es schiesst mir durch den Kopf: Adieu.
Bald darauf verliess ein kleiner Pulk beiderlei Geschlechts die Kirche: Da Capo: Nicht auf Wiedersehen.
So kann man sich täuschen, sie kamen alle wieder, waren nur mal eine rauchen.
Und dass dieser “ Pulk “ während der Lesungen und der Musik gleichzeitig unter, hinter ihrer Kirchenbank auf irgendetwas starrten, das nenne ich hier nun schlichtweg: Kontemplation.
Wenn ich also meine Erwartungshaltung ändere, dann kann ich nur noch zu dem Schluss kommen: Sehr sympathisch, diese jungen Menschen.

Jean-Guihen Queyras, Michael Schneider und die Cello Saiten von Gerold Genssler.

Jean-Guihen Queyras, Darmsaiten, historische Aufführungspraxis und jetzt kommt es: Michael Schneider und seine Golden Label Cello Saiten.
Danach kommt gar nichts mehr.

Gerade läuft auf SWR 2 das Schumann Cellokonzert, gespielt auf Darmsaiten von Jean-Guihen Queyras und dem Freiburger Barockorchester, für den diese Spielweise eine Offenbarung und die Erfüllung seiner Träume sei, so wird die Darbietung kommentiert.
Seit 35 Jahren im Philharmonischen Orchester Heidelberg arbeitet der ehemalige Abteilungsleiter der Kontrabässe, Michael Schneider am Klang der Orchesterinstrumente und natürlich seiner privaten Instrumente. Alle damals zur Verfügung stehenden Saiten wurden ausprobiert, sowie verschiedene Methoden den Steg und die Saitenlage einzurichten.
Dann kam eine neue Bogentechnik, die ich in Paris bei Francois Rabbath erlernte und damit die Corelli Medium Saiten.
Bis dann vor acht Jahren die so genannten Rabbath Saiten „von Gerold Genßler entwickelt wurden.
Dem folgten dann die Golden Label Cello Saiten vor zwei Jahren.
Und damit bin ich bei der historischen Aufführungspraxis und den Darmsaiten.
In den Köpfen der Puristen steht immer noch geschrieben: entweder Stahl- oder Darmsaiten.
Es gibt also nur ein entweder oder. Der syrische Geiger Claude Chaloub hat auf seiner CD “ Desert “ gezeigt, wie gut er doch mit modernen Saiten einen Klang Zauber noch nie gehörter Art produzieren kann. Der Klang, von dem die Verfechter der historisch informierten Aufführungspraxis träumen, den erzeugt Claude Chaloub durch seine Klangvorstellung.
Ebenso verstand es Francois Rabbath auf dem Kontrabass mit den Corelli Medium Seiten schon unglaubliche Klangwelten zu erzeugen.
Aber beide Instrumente, Cello und Kontrabass haben nun den unvorstellbaren Luxus durch Gerold Genßler erhalten.
Mit den Golden Label Cello Saiten habe ich die Möglichkeit, so ziemlich jede Klangfarbe hervor zu zaubern, ohne die Kontaktstelle zu ändern. Ein barocker Klang, ein Heavy Metal rockiger Sound, alles geht an der gleichen Stelle. Und ponticello wie obertönige Wirkungen, dafür muss ich mich selbstverständlich immer noch dem Steg nähern.
Wofür brauche ich einen leichteren Barockbogen, wenn ich mit der Francois Rabbath Bogentechnik nur durch die Dosierung des Gewichtes auch mit dem schwersten Bogen leicht und luftig spielen kann?
Ich behaupte immer noch: die Barrieren liegen im Kopf und in dem Glauben daran, dass das einmal gelernte, nämlich das Drücken und Sägen in die Saiten bei barocker Spielweise nur durch andere Saiten und einen anderen, leichteren Bogen zu verwirklichen ist.
Schon 1985 hörte ich von Mario Venzago die Bemerkung: Barock Musik ist ganz einfach, einfach noch schöner spielen als sonst.
Da setzt Felice Venanzoni sogar noch eines drauf: nicht alles spielen, lass die Hälfte weg, oder Spiel was du willst, mach Jazz.
Ich übersetze: sei kreativ, Spiel vital, also lebendig.
Das sagte er mir, dem Kontrabassisten.
Die beiden eben erwähnten Dirigenten haben sehr viele Gemeinsamkeiten: vital, spontan und kreativ.
Das ist Barock Musik wie ich sie liebe.
Das Unwort der letzten 20 Jahre ist für mich: historisch informierte Aufführungspraxis.
Das klingt so theoretisch, so juristisch formal korrekt, dass es auf mich nur noch tot wirkt und einen Anspruch auf Absolutheit einfordert.

Der Heidelberger Frühling in Sinsheim. Flüchtlingsheim Breite Seite Nummer drei. Der Profi war wieder bei seinen Freunden zu Besuch.

Der ehemalige Abteilungsleiter der Kontrabässe im Philharmonischen Orchester Heidelberg hat sich in den letzten Jahren immer mehr vom Solo Kontrabassisten zum Solo Cellisten gewandelt. Seine wöchentlichen Konzerte umspannen ein breitgefächertes Programm von Renaissance bis Popmusik für Cello Solo.
Bis hierher dachte Michael Schneider noch, diese Cello Musik ist eigentlich für junge Menschen aus Gambia, Syrien oder Afghanistan , viel zu anstrengend. Anstrengend, weil unbekannt und wenig vertraut.
Heute bei dem schönen Wetter waren nicht allzu viele Zuhörer zu sehen.
Aber auch schon inzwischen vertraute Gesichter, darunter zwei meiner neuen Gitarren Schüler, die von mir nach dem 70-minütigen Konzert noch Gitarrenunterricht erhalten.
Es ist inzwischen so, dass ich mich daran gewöhnen muss, dass diese jungen Menschen begeistert und sehr konzentriert zuhören können.
Meine immer mal wieder gestellte Frage, ob sie noch mehr hören möchten wurde einhellig und durchgängig mit Ja beantwortet.
Nach 50 Minuten tauchte meine bekannte Frage wieder auf, die Asim, ein junger Mann aus Syrien so kommentierte: You don’t make me tired.
Das könnte dann die Running Gag Frage für die Zukunft sein.
Nein, sie sind mit klassischer Musik nicht müde zu kriegen. Ein junger Mann aus Gambia sitzt die ganze Zeit Kopf über gebeugt vor seinem Handy und guckt oder schreibt irgendetwas.
Aber nach jedem Stück gibt es besonders von ihm begeisterten Applaus und ein strahlendes Gesicht.
Danach ist sein Kopf wieder in seinem Handy verschwunden. Zwischendurch verlässt auch der eine oder andere den Raum. Na gut, denke ich, jetzt hat er doch die Nase voll, das kann ich auch gut verstehen. Aber nein, jeder von ihnen kommt wieder zurück, waren vermutlich nur mal eben telefonieren. Ich stelle immer mehr fest, dass meine neuen jungen Freunde total in Ordnung sind und sehr konzentriert bei der Sache, aber eben auf ihre Weise, an der es auch gar nichts auszusetzen gibt, ganz im Gegenteil. Korrigieren muss ich meine Vorstellungen, die ich mir so ganz insgeheim für mich gemacht hatte.
So bin ich heute, einen Tag später beim Schreiben dieses Berichtes immer noch erstaunt darüber, dass besonders die Ricercari von Gabrieli und Degli Antonii besondere begeisterte Aufmerksamkeit erhielten, ebenso wie die schnellen Sätze aus den Bach Suiten.

Flüchtlinge in Sinsheim “ Breite Seite Nummer drei „, der Profi zu Besuch : Michael Schneider und was Nicoleta Craita Ten’O dazu sagt.

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Ich heiße Nicoleta Craita Ten’o, ich bin am 16 März 1983 in Galati, einer rumänischen Großstadt an der Donau geboren und aufgewachsen. Als Kind war ich scheu, aber fröhlich, und vor allem ganz gern für mich allein. Jede freie Minute nutzte mein kindlicher Verstand um sich in die eigenen Phantasie zu begeben, ich weiß noch, wie die kleinsten Dinge mich zu einer Geschichte anregten und dass ich nie gezögert habe, mich von den jeweiligen Geschichten gefangen nehmen zu lassen, auch wenn ich dadurch viele Stunden einsam verbrachte. Als Kind war mir die Familie wichtig. Genau so wichtig war die Schule für mich. Die Schule war mein zweites Zuhause. Ich liebte meine Lehrerinnen, ich liebte das Lernen. In den ersten Grundschuljahren hatte ich die Angewohnheit, den Inhalt des nächsten Unterrichts im Voraus, zu Hause aus dem Schulbuch zu lernen. Meine damalige Lehrerin schätzte diesen Einsatz und belohnte mich dadurch, dass ich, mit ihr zusammen die Klasse unterrichten durfte. Die Schule war der schönste Ort der Welt für mich. Ich war nicht sehr kontaktfreudig und verbrachte sogar die Pausen mit Vorbereitungen für die nächste Unterrichtstunde, aber diese Aneignung von Kenntnissen, die dazu führte, die Welt etwas besser zu verstehen und die Anerkennung, die ich dadurch erhielt, waren meine heile Welt, mein eigenes Planet der Rosen. 1996, im Alter von 13 Jahren, bin ich, nach einem traumatischen Erlebnis, aus meinem Leben ausgeschieden, ich bin innerlich zerbrochen, habe das Sprechen eingestellt, die Menschen machten mir auf einmal Angst und ich wünschte mir zu sterben. Ich war nicht mehr in der Lage, die Schule zu besuchen, ich habe viele Jahre einfach nur im Bett gelegen, mit einem Heft und einem Stift auf dem Kopfkissen – ich schrieb Gedichte. Und ich schrieb sie überm Kopf, aus dem Bauch heraus, oder auch mit Tränen in den Augen. Ich schrieb sie, weil ich nicht anders konnte – ich lag im Bett und schrieb Gedichte. 2001 erhielt mein Vater, als Schiffbauingenieur, ein Arbeitsangebot in Hamburg. Es war nicht leicht, Rumänien zu verlassen, es war nicht leicht in Deutschland Anschluss zu finden. Mir persönlich tat die neue Umgebung sehr gut, ich öffnete mich und fing an, an einem geregeltem Alltag Teil zu nehmen. Durch das Schweigen und durch die Angst vor Menschen, war es mir nicht möglich einen Deutschkurs zu besuchen. Die Deutsche Sprache war mir vollkommen fremd, daher habe ich weiterhin auf Rumänisch gedichtet. 1999 wurde in Rumänien mein erster Gedichtband veröffentlicht, eine Sammlung aus den Gedichten, die ich im Liegen geschrieben habe. In Deutschland habe ich meinen ersten Roman verfasst, der ebenfalls in Rumänien veröffentlicht wurde. Das Buch beschreibt die Schwierigkeiten der Teenager-Zeit, die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ansprüchen an den jungen Menschen und die Entdeckung der eigenen Homosexualität. Weitere 5 Jahre nach der Veröffentlichung dieses Romans habe ich meine Texte auf Rumänisch verfasst, davon erblickten ein weiterer Roman und ein zweiter Gedichtband das Licht der Welt. Rumänien entfernte sich, aber, mit jedem Tag mehr und mein Herz schlug inzwischen für, in meinen Augen, den schönsten Ort auf dieser Erde, für meine neue Heimat Deutschland und für die Deutsche Sprache. 2009 habe ich den Entschluss gefasst, ausschließlich auf Deutsch zu schreiben. Die ersten Versuche waren mühselig. Ich habe bis zu 8 Stunden an einem Gedicht gesessen. Ich übersetzte Begriffe aus dem Rumänischen, schlug dann in Duden nach diesen Begriffen nach um den Artikel festzustellen und benutzte ein Grammatikbuch bei der Formulierung fast jedes Satzes. Mit dem Synonymenwörterbuch habe ich mein Vokabular erweitert. Heute noch brauche ich bei jedem Text solche Hilfsmittel. Das Entscheidende bei der Erlernung der Deutsche Sprache war, mein ganzes Denken auf Deutsch umzustellen. Ich träume inzwischen ausschließlich auf Deutsch und habe das Gefühl, dass ich schon immer Deutsch gesprochen habe, die Sprache habe ich jetzt im Blut. 2010 durfte ich mein erstes Buch auf Deutsch in den Händen halten – ein Gedichtband über Liebe. Auch die darauffolgenden Romane handeln von Liebe, nämlich von der Liebe zwischen zwei Frauen. Es ist ein sehr wichtiges Thema für mich und ich würde gern meinen kleinen Beitrag zu mehr Toleranz leisten, in der Hoffnung, dass die Gesellschaft sich bereit erklärt, mehr Verständnis dafür aufzubringen. Auch wenn die Berührungsängste noch da sind, sollte jeder von uns, denke ich, seinen eigenen Schalter umlegen, weil es nur eine Kopfsache ist, zu akzeptieren, dass es uns frei steht, uns den Menschen an unserer Seite selbst auszuwählen, unseren Weg unbehindert zu gehen. Meine Bücher auf Deutsch sind (mit Ausnahme meines letzten Buches), und dafür möchte ich mich entschuldigen, in einer fehlerhaften Sprache geschrieben – ich habe massige Grammatik- und Rechtschreibungsfehler gemacht. Ich bin nicht stolz darauf, ganz im Gegenteil.
Ich heiße Nicoleta Craita Ten’o, bin 32 Jahre alt, stumm, ich habe ein ganz skurriles Erscheinungsbild, ich wohne zusammen mit meiner Katze in Bremen und arbeite in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Ich schreibe immer noch jeden Tag an meinen Manuskripten. Meine Träume sind alle in Erfüllung gegangen – ich bin dankbar für dieses Land, für Deutschland, für die Menschen hier, die mich bedingungslos aufgenommen haben, für jedes Lächeln, das mir zugeworfen wird und für die Großzügigkeit derjenigen, die die Zeit und die Geduld aufbringen, meine Texte kennenzulernen. Vielen Dank!

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Der Solokontrabassist Michael Schneider spielt Cello. Dabei geht er nicht einmal fremd: Er ist Rentner und kann machen was er will. Das tut er sowieso schon immer. Und jetzt erst recht für Flüchtlinge.

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Lesen Sie hier mehr: Michael Schneider geht nicht nur regelmässig in ein Flüchtlingsheim in Sinsheim, der berühmten “ Breiten Seite Nummer drei „, er gibt dort auch noch gratis Gitarrenunterricht – ob es dabei bleibt, das wird sich zeigen – er ist auch zu Erweiterungen bereit: andere Instrumente unterrichten, gemeinsames Musizieren mit Flüchtlingen, Konzerte für die Flüchtlinge geben ? Alles inklusive um von unserem unverschämten Reichtum etwas an die Opfer zurückzugeben, die durch uns auf der Strecke geblieben sind.
Michael Schneider geht oft in Schulen, als “ Profi zu Besuch „. Einmal Profi – immer Profi. Also wird er das auch weiterhin tun. Immer wieder taucht dann die Frage auf, wie lange ich schon Musik mache. Dann antworte ich: 5000 Jahre. Gelächter: das kann doch gar nicht sein. Dann erzähle ich ihnen eine Geschichte von den chassidischen Juden. Die glauben, dass die Seele eines Menschen, bevor sie wieder reinkarniert wird, über eine Brücke gehen muss. Auf dieser Brücke steht ein Engel, der sagt: vergiss alles was du in den letzten 5000 Jahren gelernt hast. Die Seele vergisst und wird reinkarniert. Diese Juden glauben nun, dass es unsere Aufgabe in diesem Leben ist uns zu erinnern. Zu erinnern, warum wir hier sind, was hier in diesem Leben unsere Aufgabe ist.
Soweit die Geschichte.
Ich habe mich mit elf Jahren daran “ erinnert „, dass Musik mein Leben ist und habe dies seitdem konsequent verfolgt.
Danach lacht keiner mehr von den Schülern. Die meisten verstehen die Meta-Ebene dieser Erzählung, wahr kann auch sein, was nicht so konkret ist.
Und was verstehen die Flüchtlinge in Sinsheim, wenn sie Musik auf dem Cello und dem Bass hören, Musik von Johann Sebastian Bach, Weltmusik von Francois Rabbath ?
Ich wiederhole mich : meine Betreuerin vom DRK Rhein Neckar erzählt mir: diese jungen Männer befinden sich im Krieg. Ich kann mir das nicht vorstellen. Wir in Deutschland sind seit über 70 Jahren kriegsfreie Zone, für mich das selbstverständlichste auf der Welt.

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Das Bild das Sie hier sehen wurde aufgenommen nach dem Konzert im Oktober im Querklang am Berghang, nach der Lesung mit Nicoleta Craita Ten’O und ihrem Verleger Alfred Büngen.
Ich gebe hier noch einmal eine Selbstdarstellung von Nicoleta wieder, die für mich das beeindruckendste Dokument menschlicher Dankbarkeit darstellt, die ich mir in unserem reichen Land vorstellen kann, von einem Menschen, der Erlebnisse hat, die unsere vorstellbaren Dimensionen sprengen. Verfolgen Sie den nächsten Artikel: Nicoleta über sich.

Breite Seite Nummer drei in Sinsheim, Flüchtlingsheim zum Zweiten – der Profi zu Besuch, zweite Ansicht eines Naiven.

Breite Seite, was für eine Strassenbezeichnung ! Passt genau zu dem Krieg, den die Neinsager und Neider gegen die Opfer unseres Wohlstands führen: Klingt also wie: Breitseite, Volltreffer in ein Schiff. Das hätten viele, Herr Seehofer und die AfD sehr gerne, dass die Flüchtlinge verschwinden, einfach versenken damit wir armen Deutsche auch noch etwas abbekommen. Aber wovon?
Ich gebe Heidelberg und Herrn Seehofer und den neidischen Deutschen ein Beispiel:
Michael Schneider war als aktives Orchestermitglied und Solokontrabassist oft und gerne in Schulen um unter dem Motto: “ Profis zu Besuch “ seine Instrumente und die Musik im Allgemeinen vorzustellen. So kam er auch an die Waldparkschule in Heidelberg Boxberg. Diese ist ein Konglomerat aus allen Völkern der Welt die hier in Heidelberg gelandet sind. Nie zuvor hat Michael Schneider so begeisterte und hungrige Augen gesehen.
Also hatte ich die Idee, dass doch jeder Orchestermusiker an einem Nachmittag jeder Woche ein bis zwei Stunden für Musikunterricht an dieser Schule opfern könnte. Diese Idee bot ich dann dem Theater zur Verwirklichung an. Nun scheint es aber grundsätzlich so zu sein, dass Ideen von Michael Schneider nur sehr ungern vom Intendanten oder dem GMD aufgenommen werden. Hinzu kam dann noch das Argument, dass das Orchester der städtischen Musikschule dann Konkurrenz machen würde. ( Die Musikschule hat das aber auch nicht übernommen und die Waldparkschule ebenso nicht ). Bei diesem Projekt wäre es also darum gegangen, in Heidelberg ansässige minderbemittelte Kinder durch Musikunterricht zu fördern.
Und nun zurück zur Breiten Seite Nummer drei: Zweite Begegnung. Wieder viel Musik von Bach. Aber auch “ Adios Nonino “ für Cello Solo in einem Arrangement von mir, ein Tanz von Abramova und wieder fetzige amerikanische Cellomusik.
Elf junge Männer aus Afghanistan und zwei aus Gambia sind heute meine Zuhörer. Ab und zu klingelt ein Handy. Wir können uns bestens auf Englisch verständigen. Michael Schneider ist trotz innerer Verwirrung anderen, mir fremdem kulturellen Hör-Managements bereit und offen sich nicht irritieren zu lassen.
Meine “ Chefin “ ( für freie Mitarbeiter ) erzählt mir in einem Nebensatz: diese jungen Männer befinden sich im Krieg.
Ich erinnere: einer kann Klavier spielen, aber sein Haus ist zerstört, er musste fliehen. Warumm sitzen elf junge Männer aus Afghanistan mir hier gegenüber und hören sich Musik von Johann Sebastian Bach an ? Die sind bestimmt nur hier her gekommen um viel Geld abzukassieren und sich Musik von Bach und anderen vorspielen zu lassen ?
Das mag Herr Seehofer behaupten und die AfD.
Aber der Nebensatz meiner Betreuerin von DRK Rhein Neckar hat gesessen: “ Die sind noch im Krieg „.
Da möchte ich nicht sein. Niemals. Ich hatte am Heidelberger Theater und Orchester Mobbing Krieg gegen mich. Aber wenn mir jemand mein Instrument wegnimmt, zerschiesst, ich mich retten muss, fliehen und es nur um mein Überleben geht. Nein danke. Ich lebe in einer Zeit: 70 Jahre ohne Krieg. 70 Jahre Selbstverwirklichung.
Breite Seite Nummer drei:
Ich kann Dschembe spielen sagt ein Flüchtling zu mir. Ich bringe eine Dschembe mit, er bringt sich aber bei der zweiten Begegnung nicht mit. Aber der junge Mann aus Afghanistan, der Gitarre lernen wollte, er kommt und erhält seine erste Stunde. Ein zweiter Afghane hört zu und will am Ende der Stunde auch Gitarre lernen. Ich sage dem ersteren: Bring du ihm bis zur nächsten Stunde bei, was du heute gelernt hast, dann könnt ihr gemeinsam weiter machen.
Mein junger Afghane bekommt eine Gitarre von mir, der andere eine vom DRK.
Aber es gab auch eine Schlägerei am Wochenende mit Polizeieinsatz und ein Mitarbeiter befürchtet, dass den Gitarren im Rausch eines Problems keine Rücksicht gewährt wird.
Michael Schneider und die DRK Betreuerin gehen beide dieses Risiko ein, wohlwollendes Vertrauen schenkend.

Cello Heidelberg – Michael Schneider – Heidelberg Kontrabass. Lyrik mit Stefan Hölscher im Rote Insel Salon am 18.3.2016

Mit dem Duo “ Lyrik-Kontra-Bass “ verbindet sich Sprache mit Musik. Musik mal begleitend oder kommentierend oder als seelischer Weichspüler nach heftigen Texten mit außer Kontrolle geratenen Bass-Kommentaren.
Die literarisch-musikalische Hemmungslosigkeit zahlt sich aus: die spannenden musikalischen Einlagen, mal im Duo mit Klavier-Kontrabass, dann wieder nur Kontrabass Solo geben dem Publikum Zeit und Raum, die Gedanken nachklingen zu lassen, sowie durch Eintauchen in die faszinierenden Klangwelten des Kontrabasses die Empfangsbereitschaft für neue, weitere literarische Eindrücke frei zu machen.
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Stefan Hölscher, studierter Philosoph, Literaturwissenschaftler und Psychologe (Dr. phil., Dipl.-Psych., M.A.), hat eine berufliche Doppelexistenz: er arbeitet als Managementberater, Trainer, Coach und ist Geschäftsführender Gesellschafter der Metrion Management Consulting, Frankfurt a.M. Gleichzeitig ist er als Autor, Lyriker und Sprecher tätig. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher und Beiträge. Seine Gedichte kreisen um existenzielle, politische, alltägliche und queer-erotische Themen. Sie verwenden klassisch gefügte ebenso wie experimentell freie Formen; sie erweisen sich als poetisch-philosophische Reflexion oder einfach als Spiel mit Bildern, Worten und Lauten. Statt mit erwartungsbestätigender Familienähnlichkeit zeigen sie sich mit eigensinniger Verschiedenartigkeit. Immer aber suchen sie die Verbindung mit der Musik.

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Michael Schneider, Kontrabassist und Cellist, ist Solobassist des Philharmonischen Orchesters Heidelberg und Mitbegründer des Weltmusik Ensembles „arkestra convolt“. Daneben widmet er sich als Solist wie im Ensemble der Verbreitung zeitgenössischer Musik und spielt Uraufführungen von Gegenwartskomponisten wie Olga Magidenko, David Loeb, Martin Georgiev und Maria Panayotova. Sein besonderes Interesse gilt dem Aufspüren von inspirierenden, energievollen Werken abseits des musikalischen Mainstreams. Mit Stefan Hölscher verbindet ihn die Leidenschaft für das immer wieder neue, vitale und elementare Zueinanderfinden von Sprache und Musik.