Ein Kontrapunkt der Kulturen – ein Kommentar zum Osvaldo-Golijov-Projekt von arkestra convolt am 29/30 Januar 2016

A Counterpoint of Cultures:
“ Most people are principally aware of one culture, one setting, one home; exiles are aware of at least two, and this plurality of vision gives rise to an awareness that – to borrow a phrase from music – is contrapunctual “
Edward Said, from Reflections on Exile ( 2000 )

Das sind Worte wie Wasser auf meine Mühlen. Hochaktuell, brisant, Zündstoff zur Zeit, scheinbar wie eine Zeitbombe, vor der nun auch Frau Merkel zurückweichen muss.
Aber: das formuliert hier jemand mit einem musikalischen Fachausdruck:
K O N T R A P U N K T

Aus der Musik gar nicht mehr wegzudenken. Noch schlimmer sozusagen: ohne diesen hätten viele Komponisten wenig mit sich anzufangen gewusst, hätte es ihn denn nicht gegeben.
In der Musik ist dieser Kontra-Punkt nicht wegzudenken und das schönste und ereignisreichste Moment überhaupt.

Ein Abend gegen 18 Uhr am Gare de L’Est in Paris. Ganz Nordafrika ist dort versammelt und das Ergebnis der “ Vermischung mit Frankreich „. So viele schöne und interessante Gesichter finde ich dort zur “ After Work Party “ auf der Strasse, bevor sie dann alle ins Restaurant oder Kino verschwinden. Ich stelle mir die Franzosen ohne die Nordafrikaner vor, so wie wir sie aus Filmen kennen: Jacques Tati: “ Die Ferien des Monsieur Hulot „ zum Beispiel.

Zurück zur Musik: im musikalischen Bereich ist der Kontrapunkt – auf Deutsch: der Gegensatz ! ( richtig übersetzt ? ) – allgemein akzeptiert.
Im Orchester z.B. sieht das ganz anders aus, da wird grössten Wert darauf gelegt, dass alle den gleichen Strich spielen, sogar, dass jede Gruppe unisono konform mit allen anderen spielt.

Es geht in manchen Orchester-Gruppen sogar so weit, dass alle die gleichen Fingersätze spielen sollen oder müssen. Kontrapunkt als positives Gestaltungsmoment ist hier also nicht gefragt.

Ich zitiere mich und André Gide mit dessen Ausspruch:
“ Man kann keine anderen Kontinente entdecken, ohne die alten aus den Augen zu verlieren. „
Das habe ich als Leitmotiv meiner Webseite vorangestellt.

Aber wenn ein musikalischer Kontrapunkt die Musik belebt, dann könnte ein optischer Kontrapunkt das Publikum durchaus munter machen: Siehe da, die Kontrabässe streichen alle in die andere Richtung. Das fällt auf, das Publikum ist beschäftigt und munter.

Ich erwähne dies nur, weil vor ungefähr einem Lebensalter die Gleichschaltung äusserlich wie innerlich nicht nur in Deutschland höchste Priorität hatte.

Toti Lanzalaco, Perkussionist und Mensch, weiss: Behindert ist nur, wer als solcher bezeichnet wird.

Konzert in der Evangelischen Bergkirche zum dreijährigen Jubiläum vom “ Querklang am Berghang „. Konzertlesung mit Nicoleta Craita Ten’o, Alfred Büngen und arkestra convolt. Unser Perkussionist Francesco Panarese weilt in Italien. Toti Lanzalaco weilt in der Bergkirche, sowohl als aktiver Musiker, wie als Zuhörer.

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Toti Lanzalaco, Photos: Peter Bösselmann

Der Zuhörer Toti meldet sich zu Wort. Es geht um eine Puppe. Die heisst Bianca. Die hält Nicoleta in ihren Armen. Immer. Wenn sie kaputt geht, dann kommt eine Neue. Die heisst dann auch Bianca. Bianca ist der Name der Betreuerin von Nicoleta, der sie besonders viel verdankt. Wenn Nicoleta im Bus sitzt, dann erlebt sie immer wieder Unverständnis bei anderen Jugendlichen.

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In den Augen mancher Jugendlicher ist Nicoleta schon wegen ihrer Puppe “ behindert „. Das bringt Toti auf einen Punkt mit der Feststellung, dass wir es alle ganz normal finden, wenn wir alle ständig mit einem Handy in der Hand herumlaufen. Er geht aber noch weiter: Nicoleta ist stumm, beherrscht sechs Sprachen, lebt allein und eigenständig in einer eigenen Wohnung, hat einen festen Arbeitsplatz, schreibt nach der “ Arbeit “ zur Zeit an ihrem dritten deutschen Roman. Erst wenn ich mit dem Finger auf andere zeige wird das zur Behinderung weil ich es so benenne.

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Michael Schneider konzertiert im Dialog mit Norbert Kotzan, Bandoneon in der Evangelischen Bergkirche Schlierbach am 26. Juni 2015 um 20 Uhr. Tango Nuevo von Astor Piazzolla.

Norbert Kotzan, BANDONEON

Norbert Kotzan verfeinerte seine Liebe zum Tango in verschiedenen Orchestern in Buenos Aires zur Kunst und lernte dort von den großen Virtuosen des Bandoneonspiels. Er lebte und studierte den Tango über vier Jahre in Argentinien.

Als Tango-Musiker ist er weit über die Region hinaus bekannt und spielt in verschiedenen Ensembles die ganze Bandbreite des Tangos.

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Landratsamt Balingen am 7.12.2014 : Eröffnung der “ Artothek “ – mit dabei waren Uli Kieckbusch, Harmonika und Michael Schneider, Kontrabass.

Die Artothek im Landratsamt Balingen findet einmal im Jahr vor Weihnachten statt, rund dreissig Künstler und Künstlerinnen stellen ihre Werke aus, die sofort nach der Eröffnung für ein Jahr gemietet werden können, wobei kaufen auch erlaubt ist. Uli Kieckbusch, der nicht nur “ Tonkünstler “ ist, war mit einigen seiner Werke auch unter den Bildenden Künstlern.
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Musikalisch umrahmt wurde die Artothek von Uli Kieckbusch und Michael Schneider mit ihrem “ Tangoharmonika “ Duo : Jazz und Tango gab es zum “ Frühstück “ um 11 Uhr. Es gab Stimmen im Publikum, die besagen, dass der Besuch sich wegen der beiden Tango Jazzer gelohnt hat.
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Hat es sich inzwischen herumgesprochen ? Uli Kieckbusch ist ein echter Grossneffe von Johannes Brahms. Hätte letzterer Uli an der Harmonika gehört, dann gäbe es vermutlich heute ein Harmonika Konzert von Johannes Brahms.
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Photos von Silke Thiercy

Lyrik-Kontra-Bass: Michael Schneider, der Solokontrabassist des Philharmonischen Orchesters Heidelberg – ein Switcher zwischen Barock, Free Jazz und Neuer Musik. Das ist auch ein Ergebnis seines Studiums der “ Rabbath Technik “ und der Entwicklung der “ Rabbath-Genssler „Saiten.

Alte Musik und die Rabbath Technik haben eines besonders gemeinsam: Es geht nicht um Töne, sondern um Klangfarben ( Rabbath: Timbre ). Und es geht um Freiheit. Die Freiheit, sich selbst auch einmal in Frage zu stellen, bzw. den Mut zu finden, ganz andere Wege zu gehen. Da sind die Herausforderungen durch Yordan Kamdzhalov und Felice Veranzoni die besten mir bekannten Protagonisten der experimentellen Extreme: so leise zu spielen, dass jeder Musiker herkömmlicher Denkart sich überflüssig fühlt und die Bereitschaft, im Konzert zu reagieren, anstatt im “ Geübten “ zu verharren. Beide haben das Philharmonische Orchester Heidelberg extrem provoziert, Yordan Kamdzhalov mit dem Ergebnis internationaler Anerkennung und Felice Venanzoni das Heidelberger Publikum in fasziniertes Erstaunen versetzt. Wie geht Michael Schneider damit um ? Hier sind zwei aktuelle Angebote: wir nennen es: Schön und vital, also so wie Michael Schneider die Zusammennarbeit mit Yordan Kamdzhalov und Felice Venanzoni liebt.

Kontrabass Kaleidoskop und Cello Visionen in einem Workshop bei Michael Schneider – das Sprungbrett in ein anderes Denken, auch wenn Sie bei Ihrer alten, herkömmlichen Technik bleiben möchten.

Mit der Rabbath Technik machen Sie Ihren inneren Karrieresprung auf dem Cello und dem Kontrabass von Null auf Hundert in einem Workshop in ein bis zwei Tagen. Üben müssen Sie dann leider immer noch selber.
Aber Ihr Horizont verändert und weitet sich. Statt nur eine Sichtweise haben Sie dann zwei. Jetzt können Sie auswählen, welche Ihnen besser gefällt oder effektiver weiter hilft.
Zu Rabbath und seiner Bogenführung und Spieltechnik bin ich gekommen, weil ich Vor- und Nachteile der deutschen wie der französischen Bogenhaltung kennenlernen und vergleichen wollte.
Allerdings war beim ersten Besuch bei François Rabbath klar, welchen Weg ich gehen will.
Das war 1991. In den folgenden Jahren gab es wenig Anerkennung von Kollegen. Aber damals war ich neben Ichiro Noda und Bruno Seuys ( beide an der Frankfurter Oper ) der dritte in Deutschland, der auf die andere Bogenhaltung umgestiegen war.
Heute ist meine Spielweise im Zusammenspiel von meinen ( Cello- ) Bögen und den Rabbath-Genssler Saiten sowohl kompatibel für den satten modernen Orchestersound wie für die barocke Spielweise.
Ursprünglich Strassenmusiker und dann Jazzer, kommen meinem musikalischen Denken und meiner Spielweise besonders herausragende Dirigenten wie Mario Venzago, Rudolf Barschai, Yordan Kamdzhalov und jetzt Felice Venanzoni entgegen, die musikalisch wie Reinhard May in der Freiheit über den Wolken leben.
Nikolaus Hanoncourt sagte kürzlich in einem Spiegel Interview: “ Gute Musik gibt es nur am Rande der Katastrophe „.

Literatur-Kontra-Bass – am 21.11.2014 ist es soweit: eine Legende der Heidelberger Kultur zeigt Flagge: Jetzt geht es los. In der Bergkirche Schlierbach startet ein Event, das sich bis März 2015 bis nach Berlin tourt.

Was zart begann ist nicht hart geworden. Sie begegnen der Souveränität zweier Wissender, die gerne loslassen – auch mal die Sau – heftig bis verführerisch.

Lassen Sie sich “ heftig verführen “ im 25. „Querklang am Berghang“ mit Stefan Hölscher und Michael Schneider.

Frank Proto, Alec Wilder und der Jazz in der “ Modernen Klassik “ der Kontrabass Literatur. Michael Schneiders Spurensuche nach guter Musik in diesem Genre.

Der Kontrabassist und Selfmade Komponist Frank Proto machte 1963 sein Diplom. Die Literatur, die ihm damals zur Verfügung stand war so spärlich und nicht nach seinem Geschmack, so dass er sich selbst ein Stück schrieb : die “ Sonate 1963 “ für Kontrabass und Klavier.

Der erste und der dritte Satz sind harmonisch sphärische Erkundungen dessen, was  Frank Proto immer weiter bis zu seinem heutigen Stil entwickelte.

Der zweite Satz ist wie ein Bebop Chorus der Sechziger Jahre gehalten und die Klavierbegleitung wirkt dazu wie ein perfekt improvisierend antwortendes Klavier. Die Bass Stimme weist jedoch alle Merkmale der klassischen Sonatenform auf: Thema, Seitenthema, Durchführung, Reprise. Dieser ausgeschriebene Bebop Chorus gefällt mir immer noch so gut, dass ich ihn öfter in Ermangelung eines Klaviers Solo spiele. Das Publikum nimmt das immer dankbar erstaunt auf, dem Publikum und mir fehlt da in dieser Fassung nichts.

Beim vierten Satz geht dies leider nicht, da hier ein ausgesprochen virtuoser Dialog zwischen Bass und Klavier die Spannung ausmacht und keine Melodie durchgängig auf dem Bass zu finden ist.

Was gibt es in der “ Modernen Klassik “ an Jazz orientierten Stücken !

Mir sind drei Jazz Sonaten des amerikanischen Komponisten Alec Wilder bekannt:

Suite No. 1 for Tuba, Bass and Piano, Small Suite for Bass and Piano

Suite for String Bass and Guitar, Sonata for Bass and Piano

Alle Margun Music Inc,

Paul Leenhouts komponierte 1993 “ Daido“ für Piccoloflöte und Kontrabass. Dieses Stück führe ich regelmässig mit Saxopon und Kontrabass auf.

Wem beim Lesen weitere Werke in dieser Richtung einfallen, der ist mit seinem Wissen hier sehr willkommen.

Als Jazz Trio für drei Celli oder drei Kontrabässe gibt es noch von Michael Norris “ Bass Motives“quasi cool – quasi blues – quasi cake walk.  Für Kontrabass Septett gibt es natürlich noch die Kompositionen des legendären  “ Orchestre de Contrebasses „ in dem schon Renaud Garcia Fons als Student auf seinem Fünfsaiter mit hoher C-Saite seinen Stil entwickelte.

Frank Proto schrieb auch ein Trio für Violine, Viola und Kontrabass, im coolen Bebop-Proto Stil geschrieben, das dem Kontrabassisten zur freien Improvisation einen beliebig langen Freiraum lässt. Diese Idee setzt Frank Proto auch in seinem Kontrabass Konzert fort. Eigentlich ist das gar nichts besonderes, was im Jazz als Chorus bezeichnet wird, nennen wir in den Klassischen Konzerten Kadenz. Nur ist den Klassikern das freie Spiel abhanden gekommen, so dass sie sich ihren Chorus vorher aufschreiben oder gleich eine Kadenz vom Komponisten oder anderen spielen. Francois Rabbath setzt in seinen Kompositionen mit Klavierbegleitung diese Idee in  “ Reitba „ und seinem “ Concerto No. 2″ sowie “ Concerto No. 3 “ ( mit Klavierbgleitung ) um und gibt dem Solisten Gelegenheit sich solistisch “ Solo “ zu präsentieren.

Ich habe seine beiden „Concerti“  No. 2 und 3 seit einigen Jahren auch für mein Cello adaptiert und schon mehrfach aufgeführt. ( Das Placet von Francois Rabath habe, ich habe es ihm zusammen mit seinem Sohn Sylvain vor fünf Jahren vorgespielt ). Damit bin ich vermutlich bislang der einzige, der “ Rabbath“ auf dem Cello spielt.

Francois Rabbath und seinem umfangreichen Werk werde ich ein eigenes Kapitel widmen.

 

Amuse Gueule von Stefan Hölscher anlässlich der Premiere zur Weltkarriere am 21.11.2014 im 26. Querklang am Berghang in der Evangelischen Bergkirche Schlierbach.

Frühlingserwachen

man singt ein Lied und merkt es nicht

des Nachts der Radarblitz besticht durchs Licht

der Chef will deiner Freundin Stauden saugen

den Politessen sprießen blaue Augen

Altdamenkränze machen auf den Straßen wilde Tänze

vom Himmel baumeln keusche Cowboyschwänze

der Pfarrer lässt zum Einzug donnernd einen fahren

zum Taubenklacks auf deinem Kopf

hörst du dich Amen sagen

Recuerdos de la iglesia de montaña en el 07/11/2014 a las 20 horas. Guitarra y violonchelo en el diálogo.

Miguel Pesce (fotos L2) Miguel Pesce - Fest. Guitarras - Pilar

Michael Schneider kann gerade mal das Cello halten und der Konzertgitarrist Miguel Angel Pesce aus Buenos Aires hat auf seiner Europa Tournee nichts besseres zu tun, als an einem seiner wenigen freien Tage in Heidelberg Halt zu machen um in der Evangelischen Bergkirche Schlierbach in einem weiteren “ Querklang am Berghang Konzert „  einen Gitarren-Cello Abend zu geben. Quer ist also einmal wieder alles an diesem Konzert und darum wird es wieder wunderbar poetisch und elektrisierend. Noch verquerer ist, dass Michael Schneider kein Spanisch spricht, sich nur noch rudimentär an Latein und Italienisch erinnert und Miguel nur Spanisch spricht und er bisher mit mir nur via Internet Übersetzer auf Englisch kommuniziert hat. Wir wünschen viel Vergnügen. Der Abend steht gewisser massen unter dem Motto: “ Prima la musica e poi le parole “ , dem Motto der Richard Strauss Oper “ Cappriccio „.