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Der Faktor Feeling – Sequenzerspuren mit Gefühl : Ein genialer Aufsatz über gutes Timing, Seite 2
Michael Schneider und J. S. Bach als Gäste beim “ Querklang am Berghang “
Stellen Sie sich, sie spielen in einem schalldichten Raum Bach. nebenan dudeln zwei Bläser irgend etwas anderes, die schalldichten Türen öffnen sich und eine neue Kakophonie entsteht. Das kostet Nerven und einige Töne gerate nauf dem Cello anders als geplant. Aber diese kleinen Abstriche nehmen wir alle in gerne in Kauf. Was passiert in diesem Querklang Konzert ? Es gibt Momente, da werden alle, auch die Musiker ganz still und bedenklich. Dann kommen Momente, da muss man schallend lachen, weil das Geschehen auf der Bühne und in der Musik so absurd wird, dass einem eigentlich die Haare zu berge stehen. Solches Geschehen ist so unerwartet und unberechenbar und vor allem nicht planbar. Wir versuchen es in Worte zu fassen: es geschieht eine Symbiose, eine Fusion von Johann Sebastian Bach’s Musik und etwas Neuem auf eine Art, die so ernst gelingt, dass daraus ein neues Medium, eine völlig neue musikalische Sprache.
Was unsere Konzertreihe inzwischen ausmacht ist unsere innerer Freiheit, Musik zu verändern und zu gestalten dass wir in jedem Moment auch das Scheitern dieses Plans akzeptieren können. Bis jetzt ist es noch nicht dazu gekommen.
Johann Sebastian Bach – Francois Rabbath und die Cellosuiten
Die Amerikaner schulden Francois Rabbath viel, er hat ihnen die Bach Cello Suiten über den Atlantik gebracht. Zunächst Satz für Satz, bis diese Sätze quasi ein “ Muss “ in den Staaten auch bei Probespielen geworden sind. Als ich die ersten Schallplatten von Rabbath in den Händen hielt, hörte ich wunderbare Musik und einen Jazzer, der auch KLassik spielen wollte: einzelne Sätze aus den Suiten, die in seinen Jazzkonzerten ( z. T. mit zwei Schlagzeugern ) Neugier weckende Kontraste waren, aber deutlich das Bemühen eines Jazzers um die Klassik zeigten. Im Januar 2013 präsentierte Francois seine neueste CD in Paris in einem Recital. Wir hören: Bach lebt. Während viele andere sich noch um Fryba bemühen, gibt er sich erst mit dem Original zufrieden und vor allem : in der Original Lage.
Aber deswegen bin ich gar nicht hier in diesem Blog, denn jetzt geht es erst los:
Lange bevor er sein geplantes Ziel erreichte, hat J. S. Bach ihn auf ganz andere Weise inspiriert. In seiner “ Nouvelle Technique de la Contrebasse “ gibt es im ersten Band zehn nummerierte Etuden. Von Bach lieh er sich verschiedene Themen aus und verarbeitete sie auf seine Art in den Etuden. Seit vielen Jahren begleiten mich diese wunderbaren Ideen persönlich und im Unterricht. Die erste Etude lernt jeder Anfänger in der ersten Stunde und kann sie spielen. Mit verschiedenen Bindungen, Synkopen, Achtel, Sechszehntel, Jazzphrasierungen. Heinrich Heine hat in der Nacht an Deutschland gedacht. Bei Simandl denke ich an die vielen Bass Schüler Tag und Nacht. Im dritten Band von Simandl beginnt so langsam das musikalische Leben, der Alltag sozusagen. Als ich dort ankam, war ich von dem vielen langsamen Hin und Her so festgelegt, dass es für mich richtig schwer war diverse Bindungen richtig zu spielen.
Jetzt werfen wir einen Blick in den dritten Band der “ Nouvelle Technique „: Da gibt es eine Gigue, ( Thema von Bach aus der zweiten Suite d-moll ) die mir gerne jemand mit zwanzig Jahren Berufserfahrung vorspielen darf. Und weil er so lange schon spielt: auch gerne vom Blatt.
Deutsche Bogenführung – oder : Französische ?
Also: die Deutsche ist Russisch und die Französische: Italienisch.
Also ist jede Anfeindung a priori schon einmal falsch. Aber was soll es: es werden beide in Zukunft miteinander leben. In den USA , England uns Skandinavien tun sie es schon lange. Nur die Berliner Philharmoniker sind noch so borniert wie urdeutsch (Was ist das ? Kann mir jemand das erklären ? ).
Ich versuche es: In Carl Zuckmayers Drama “ Des Teufels General “ erklärt Flieger General Harras einem Offizier was “ Deutsch “ ist, weil dieser sich Sorgen um seinen Stammbaum macht. Deutsch ist, was die vielen Völker, die durch Deutschland, Germanien gezogen sind, hier hinterlassen haben oder geblieben sind, die Mischung aus vielen Völkern die sich hier vermischt haben. Alles klar ? Welche Bogenführung ? Wichtig ? Kaum! Deutschland ist in den letzten Jahren auch in der Hautfarbe deutlich bunter geworden. Ein Mangel ? Ein ganz großes Geschenk. Unsere künftige Stärke. Deutsche und Franzosen wären ohne diese Veränderung armselige Pedanten.
Ein Abend gegen achtzehn Uhr um den Gare de L‘ Est: Das Paradies. Die Strassen sind voll von Menschen. Das verbale und kommunikative “ amuse gueule “ findet hier statt: die schönsten Menschen die Paris zu bieten hat zeigen sich in ihrer faszinierenden Schönheit. Das wünsche ich mir auch in der Musik.Wenn ich Francois wieder besuche, dann bringe ich einige mit.
Bögen oder Bilder ? Wie Sie möchten.
Yordan Kamdzhalov trifft Hannes Wader ! Wo ? Zunächst nur inhaltlich. Aber Yordan denkt schon schwer darüber nach.
Ob beide kommen wissen wir noch nicht. Aber wir haben Yordan zum “ Jahrtausend Dirigenten “ erhoben, nachdem sein Vorgänger zu einer der 100 bedeutendsten Personen des zwanzigsten Jahrhunderts erkoren wurde. Yordan lebt die Musik noch viele Etagen höher. Wir hoffen mit Pfarrerin Martina Reister-Ulrichs, dass er einige Etagen herabsteigen wird zu uns in die Bergkirche in Schlierbach, zum “ Querklang am Berghang „.Wir, in all unserem bescheidenen Dasein verwetten viel darauf, daß dieser geniale Visionär zu uns kommen wird.Wenn er zusagt: kommen Sie auch: Unsere Pfarrerin und Maestro Kamdzhalov werden Ihnen ein Feuerwerk innerer und optischer Art hinblättern: Sie werden nicht mehr wissen, ob Sie noch auf der Erde sind oder schon im Himmel.
Der Fakor Feeling – Sequenzerspuren mit Gefühl – oder mit Yordan Kamdzhalov
Haben Sie Gefühle ? Selbstverständlich. Aber welche Gefühle haben Sie, wenn die Streicher Ihnen beim Pizzicato ( Zupfen ) ein breitangelegtes Arpeggio hinblättern ? Sie finden das toll ? Dann brauchen Sie nicht weiter zu lesen. Dann hat sich das Thema erledigt. Jazzmusikern ist dieses Thema nur allzu geläufig: der Blues schleppt, der Swing treibt, der eine wird jedoch nicht ständig schneller und der andere nicht langsamer, es soll nur das Gefühl davon entstehen. Aber lesen Sie selbst, Michael Stewart hat dieses Phänomen technisch-musikalisch und philosophisch unter die Lupe genommen. In der Klassik ist es nicht anders und nur wenige Dirigenten und Orchester wissen und beherrschen dies. Ich habe Dirigenten erlebt , die verlangten, dass ein Pizzikato genau in dem Moment kommt, wenn sein Schlag unten ist. Das hat nie funktioniert, denn ein Dirigent ist in dieser Hinsicht nur ein Taktschläger und Metronom. Der Moment, in dem die Pizz oder Arco-Töne kommen ist der Feeling Moment. Ich habe noch keinen Dirigenten erlebt, der das Feeling dirigieren konnte.Das Tempo seiner Bewegungen steuert das Timing natürlich. Aber eins zu eins dirigieren geht einfach nicht.
Der derzeitige GMD des Philharmonischen Orchesters Heidelberg , Yordan Kamdzhalov ist in der Homogenität seines Dirigats eine absolute Ausnahme. Er ist der erste Dirigent in meinen vergangenen 32 Jahren in diesem Orchester, der nicht Musik dirigiert, er ist die Musik am Pult.
Der nachfolgend abgedruckte Essay stammt aus der Zeitschrift Keyboards, verfasst von Michael Stewart in der Übersetzung von A. Merck und ist fünfundzwanzig Jahre alt.( 03/88 ). Abdruck hat noch keine Genehmigung.