Yordan Kamdzhalov, ein Genie auf dem Weg ins Universum

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M. Schneider auf dem Weg zur Nachdenklichkeit

Die Menschheit hat immer nach den Sternen gegriffen aber gleichzeitig auch Angst vor ihnen gehabt.
Solange die Erde noch als eine Scheibe definiert wurde war klar: da sind höhere Mächte im Spiel, ein Gewitter ist eine schlechte Laune der Götter. Wir haben etwas falsch gemacht, haben uns wie kleine Kinder schlecht benommen und nun folgt die Strafe auf dem Fusse.
So sehe ich das auch immer wieder bei meinen Hunden, die bei jedem Donnerschlag so aussehen als würden sie sich fragen, was sie jetzt wieder verbrochen haben.
Aber wie die Hunde haben auch die Menschen auch ein kurzes Gedächtnis.
Zurück zur Erde als Scheibe: einmal ein Ergebnis gefunden, dann bleibt es also eine Scheibe, dann bleibt das auch so bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Wir wiegen uns in Sicherheit. Bloß keine Veränderung das gibt nur Unruhe, wir bleiben jetzt dabei. Einmal entschieden ist für immer entschieden: die Erde bleibt eine Scheibe. Auch wenn Galileo Galilei das anders sieht.
Jetzt kommt Yordan Kamdzhalov ins Spiel. Und dabei denken wir an Orchester ganz im Allgemeinen nicht nur in Deutschland oder Heidelberg.
In Deutschland spielen alle Kontrabassisten eine deutsche Bogenhaltung. Die deutsche Bogenhaltung ist eigentlich eine russische. So wie die französische Bogenhaltung eigentlich eine italienische ist.
Im allgemeinen wird aber auf der deutschen Bogenhaltung im Orchester bestanden. Wer anders spielt hat in der Regel gar keine Chance, es sei denn er ist so phänomenal gut, das keinem Orchester Musiker eine andere Wahl bleibt.
Also auch hier ist die Erde eine Scheibe. Und wehe jemand kommt dann und behauptet, die Erde sei eine Kugel. Das gilt nicht nur für die deutsche, die russische, die französische oder italienische Bogenführung. Das gilt selbstverständlich auch für die Art und Weise ob ein Orchester auf deutsche Art geführt wird oder aus der Sicht eines genialen Universalisten.
Dort wo ich wohne, in Heidelberg Ziegelhausen wird zur Zeit jeder freie Fleck zugekleistert mit Farbe: Hier darf geparkt werden hier nicht hier darf nur ein Behinderter parken und dort nur eine Mutter mit Kind.
Wenn ich so Streichquartett spiele: hier spielen wir so und dort spielen wir anders und legen das genau fest so wie die Parkflächen in Heidelberg Ziegelhausen, dann ist für mich das Konzert schon vor Konzertbeginn beendet.
Oder benennen wir es etwas freundlicher: dann lege ich lieber die CD auf die ich schon kenne und ich weiß genau wann das crescendo kommt und wann das andere.
Und da sind wir schon wieder beim Universum angekommen bei den Sternen und bei Yordan Kamdzhalov.

Wir hatten anfangs bereits festgestellt, dass Sterne , der Himmel, das Universum uns Angst machen einerseits weil wir nicht wissen was danach kommt oder was dahinter steckt, andererseits weil wir es nicht beherrschen können.
Michael Schneider stimmt Yordan Kamdzhalov zu: wir wollen es nicht wissen, wir wollen es gar nicht Wir wollen uns überraschen lassen.
Wenn wir im Grab liegen, dann verändert sich für uns wesentlich nichts mehr. Beziehungsweise: es kann uns egal sein weil weil wir tot sind.
Und diesen Zustand möchte Yordan nicht schon im Leben produzieren.
Insofern ist er auch nur ein Mensch, der möchte im Leben leben und dann im Tod auch seine wohlverdiente Ruhe haben.
Aber erst dann und nicht schon vorher.

Yordan Kamdzhalov ’s geistige Innovationen erwünscht ?

Diese Frage werde ich als Heidelberger Philharmoniker nicht mehr eindeutig klären können, denn Heidelberg war für ihn nur das Einatmen, die Verschnaufpause vor dem Sprung in größere Dimensionen.
Ein genialer Visionär verlässt Heidelberg. Was ist an seiner Vision anders, was macht, unterscheidet sie von den Ideen und Vorstellungen anderer ?

Alle Philharmoniker die auch Instrumental- Lehrer sind kennen das folgende Problem:
Schüler verspielen sich, nehmen irgend einen Fingersatz der gerade bequem ist weil er so locker von der Hand geht. Nun weiß der Lehrer aber dass ein anderer Fingersatz besser ist und dass eine falsch gespielte Note so nicht bleiben kann. Aber leider hat sich dies im Gehirn des Schülers so schnell so fest manifestiert, das es eben nur ganz schwer wieder auszutreiben ist. So wirkt das, was der Lehrer als richtig erachtet als ein ganz schweres Moment im Lernprozess.
Auf Deutsch gesagt: dies quasi umzulernen (von umlernen kann ja noch gar nicht die Rede sein) bereitet dem Schüler erhebliche Schwierigkeiten.
In solchen Fällen ergeht immer eine Einladung an Schüler beide Alternativen zu lernen, dann können sie auch erst entscheiden welche tatsächlich besser ist.

Wenn ich das jetzt ganz allgemein auf eine Orchestersituation übertrage, dann müsste ich es so formulieren:
Erst nachdem wir uns mit einer Veränderung oder Innovation vertraut gemacht haben und ein wenig daran gewöhnt haben können wir entscheiden, ob die herkömmliche Schule oder das Innovative tatsächlich geeigneter und besser ist oder nicht.

Da Yordan Kamdzhalov nun so frühzeitig die höheren Weihen in aller Welt einsammeln möchte, kann diese Frage gemeinsam mit ihm und dem Philharmonischen Orchester Heidelberg nicht mehr geklärt werden.
Auch wenn die sozusagen „Betroffenen“ noch mitten im Lernprozess begriffen waren, hatte dies in der Außenwirkung beim Publikum aber schon phänomenale Auswirkungen.
Dies bewirkte zum Beispiel schon beim allerersten Sinfoniekonzert 2012, dass Stimmen aus dem Publikum mir mitteilten, dass sie unter seinem Dirigat keine Masse von Musikern mehr sehen, sondern Individuen die gemeinsam mit ihm musizieren.
Und wenn es ihm mit dem Orchester gelingt, dass in Pausen zwischen den Sätzen einer Symphonie nicht mehr gehustet wird, dann wissen wir, die wir seit vielen Jahren unter diesem Gehüstel selber leiden, welche Bedeutung dem zuzumessen ist.

Schon unser Altbundeskanzler Helmut Kohl hat immer wieder betont: wichtig ist was am Ende herauskommt.

Als ich 1991 in Paris neben meiner Tätigkeit im Orchester ein zweites Kontrabass Studium begann, da wurde ich von einem Kollegen aufgefordert dies nicht zu tun mit folgendem Satz: „bleib doch bei uns, verlass uns nicht“.
Ich wollte niemanden verlassen, sondern etwas dazu lernen.
Mein erstes Ziel war, die Unterschiede einer anderen Bogenhaltung und eine ganz andere Spielweise auf meinem Instrument kennen zu lernen.
Ob ich das hinterher auch anwenden wollte, besonders im Orchester, das war zu der Zeit noch gar nicht entschieden.
Als mir jedoch Francois Rabatth auf dem Kontrabass die Cello Suiten von Johann Sebastian Bach in der Originallage vorspielte da war es allerdings doch klar.

Nun werden wir das Ergebnis nie erfahren. Wir können nur durch unser kleines Fenster in die große weite Welt schauen und werden staunend erleben, dass dieses Konzept unseres GMD perfekt aufgehen wird.
Aber wir können auf seinen Fortgang sehr stolz sein.
Warum denn das jetzt plötzlich?
Das ist doch ganz einfach: das Heidelberger Theater war schon immer ein Sprungbrett für große Talente.
Das habe ich immer als eine ganz ganz große Qualität dieses Theaters gesehen.
So können wir uns trotzdem voller Stolz auf die eigene Schulter klopfen und sagen: dieser Jahrhundertdirigent war einer von uns. Wir durften ein Stück seines langen Weges mit ihm gehen. Darauf sind wir wirklich stolz.
Und wie schon erwähnt, wenn wir ihn als unseren Ehrendirigenten gewinnen könnten, dann könnten wir ein Stück seiner Genialität nach Heidelberg zurückholen und auch unserem Publikum damit ein ganz großes Geschenk machen.

Kennen Sie den Film mit Johnny Depp: Don Juan de Marquez ?
Der junge und sehr schöne Johnny Depp ( ich bin nicht anders herum, meine Kinder haben ihn auch immer verehrt ) spielt den Don Juan. Er glaubt so fest daran und an seine Begeisterung für die Liebe, dass er Marlon Brando als sein Psychiater und Therapeuten wieder zur Liebe bringen kann.
Dessen Ehe besteht schon lange, er steht vor der Pensionierung. Plötzlich fragt er seine Frau was sie sich wünsche wenn er aufhört zu arbeiten. Er schenkt ihr wieder Blumen und bestellt zum Diner anlässlich ihres Geburtstages eine Zigeunerkapelle.
Er hat die Liebe wiederentdeckt.

So muss es unserem Heidelberger Publikum seit Spielzeitbeginn 2012 ergangen sein. Plötzlich erlebt es Freiheit, Großzügigkeit und Liebe zur Musik und das alles dargestellt von einem jungen Johnny Depp alias Yordan Kamdzhalov.

Yordan Kamdzhalov verlässt Heidelberg – internationale Verpflichtungen rufen ihn. Michael Schneider wünscht ihm noch mehr Erfolg

Michael Schneider bedauert diesen schnellen Fortgang ausserordentlich. Yordan Kamdzhalov verirrte sich im Februar 2013 in ein Konzert mit Michael Schneider. Der spielte Bach auf dem Cello, mal richtig aber dann auch wieder sehr fremd. Für Klassiker: befremdlich, denn die trauen sich nicht, die Bachsuiten sozusagen hemmungslos zu spielen. Nach dem Konzert, das gemeinsam mit arkestra convolt der Cellomusik Johann Sebastian Bachs gewidmet war, erhielt der Cellist eine Mail von Yordan Kamdzhalov:

Mein lieber Herr Schneider,
also, das, was ich gerade mit Ihnen und Ihren Freunden erlebt habe, habe ich ehrlich gesagt nicht erwartet, es übertraf alle meine Erwartungen. Diese Freiheit, diese Spontanität, Authentizität  und Kreativität sind so berührend und sind so ein Luxus und Rarität in dem regulären Konzertleben heutzutage. Ich hatte immer Sehnsucht nach so etwas.
Das, dass  Sie sich so am Cello entfalten können, habe ich genauso nicht erwartet. Ich habe so viele  für mich neue Facetten in Ihrer Psyche und ihrem Leben miterlebt.
Ich bin ab heute Fan Ihres Ensembles und freue mich weitere ähnliche Ereignisse zu erleben.
Ihr
Kamdzhalov
Yordan Kamdzhalov
General Music Director of the City of Heidelberg   22.2.2013
Es war auch schnell abzusehen, dass der junge GMD hier nicht lange bleiben würde, denn das, wovon er in seiner Mail spricht, das ist auch seine eigene Sehnsucht. Viele Orchester sehnen sich nach einer solchen Freiheit und bekommen sie nicht. Und dass er ein grosser Musiker ist, das spiegelt die internationale Presse.

Mario Venzago ist auch nur zwei Jahre geblieben. Dann zog es ihn in die große weite Welt. Einen kleinen Hauch von seinem Weltruhm konnten wir Heidelberger wenigstens noch erhaschen, indem wir Ihn als unseren Ehrendirigenten teilweise zurückgewinnen konnten.

Ob uns das bei Yordan auch gelingen wird? Als unser Ehrendirigent könnten wir teilhaben an seinem Ruhm ?

Ein kleiner Gedankensprung und ich bin bei meiner Mutter gelandet. Sie war auch Koch Lehrerin. Sie war verheiratet mit meinem Vater. Mein Vater mochte Bratkartoffeln. Um es kurz zu machen: also sehr deutsches Essen.
Als Koch Lehrerin war sie sehr interessiert an internationaler Küche. Also jetzt nicht internationale Bratkartoffeln, seien es jetzt Pommes oder was auch immer. Ich, sein Sohn war da ganz anders gestrickt. Ich war neugierig auf alles was mir von meiner Mutter kulinarisch aus aller Welt geboten wurde.
Könnte es sein, dass ich dort die Wurzeln meiner inneren Freiheit erfahren habe?
Dabei war mein Vater in der Musik keineswegs ein Bratkartoffelngenießer.
So habe ich von meinen Eltern die Lust auf Freiheit und Großzügigkeit erlernt.
Als ich mit 14 Jahren meinem Vater mitteilte, dass wir einen Kontrabass in unserer Band benötigen, da lud er mich ein es selbst zu erlernen, dann würde ich immer gebraucht.

Es hat mir sehr geholfen, wenn auch nicht zu Internationalem Ruhm.
Um so mehr freue ich mich jetzt für Yordan Kamdzhalov.
Steht jetzt zu befürchten, dass sich viele Musiker aus dem Philharmonischen Orchester umbringen?
Weil sie in einem Philharmonischen Orchester ohne Yordan Kamdzhalov nicht leben möchten ? Müssen die jetzt verzweifelt versuchen, lebend das nächste Konzert trotz anderer Dirigenten zu erreichen?

Der Winter könnte wieder lang und kalt werden, aber zwei Opern Produktionen und mindestens drei Sinfoniekonzerte dürfen wir noch mit diesem Jahrhundertdirigenten erleben. Wenig ist nicht viel und nicht alles. Aber fünfmal darf ich als Heidelberger Philharmoniker noch im Sonnenstrahl einer Jahrhundert Sonne mich  erstrahlen lassen. Und das auch im anstehenden Winter.

So schließe ich meine Bemerkungen mit einem Zitat von Michael Ende:
Zu irgendetwas dient jeder in dieser Welt, auch wenn man ihn oft für entbehrlich hält.

Nota Bene:
Die Idee mit dem Selbstmordgedanken hat mir Joachim Lottmann gegeben.
In seinem Roman “ Zombie Nation “ schreibt er:
„Nach 1945 sind in Deutschland noch viele Menschen gestorben, weil sie sich nicht vorstellen konnten in einem Deutschland ohne Nazis zu leben.“

Für die nächste Generation : das Denken und Spielen in Daumenlagen – “ Tu auras l‘ habitude d’un virtuoso“

In der Gewöhnlichen und der Ersten Lage gibt es je nach Tonart einige wenige Grundstrickmuster:

Das Greifmuster von B-Dur, A-Dur und C-Dur. In der Oktavlage fällt der 4. Finger weg und wird durch den Dritten ersetzt. Lege ich den Daumen nun in der Dritten Lage ( nach Rabbath ) auf der A-Saite auf das E und spiele in dieser Daumenlage E-Dur, dann benutze ich den Fingersatz von A-Dur, aber E-Dur erklingt. Wer einmal verstanden hat, dass sich zwar das Notenbild ständig verändert, die Struktur aber nicht, der begreift schnell, dass mit dem Spielen quer über die Saiten der stets lästige Lagenwechsel wegfällt, der wie z.B. in der h-moll Suite nur wegen eines Halbstons ständig erforderlich wird. Wie konnte Django Reinhardt, die Beatles und so viele Rockmusiker, wie konnte und kann ein Heer von nicht ordentlich ausgebildeten Musikern so viele wunderschöne Melodien erfinden, von denen die meisten ihr Instrument im herkömmlichen Sinn nie richtig gelernt haben ?

Die haben einfach verstanden: Wenn ich in einer Hand wunderbare Melodien erzeugen kann kann, dann schiebe ich die Hand einfach dahin, wo ich die gewünschte Tonhöhe habe und bin dort weiter kreativ tätig. Oder besser : sie haben gar nichts verstanden, die tun das einfach weil sie es mit der Muttermilch aufgesogen haben.

Der lange Weg des Übens zu solcher Virtuosität ist nicht nur lang , sondern auch sehr sehr mühsam. Durch vier Hefte Albin Findeisen Etuden habe ich mich durchgearbeitet, Simandl selbstverständlich, Ludwig Streicher, Paul Breuer, es war für mich nie etwas Neues. Ray Brwon und viele andere Jazzer haben Schulen geschrieben, alles war nur gedreht und gewendet, aber nicht neu.

Das grosse Geschenk der “ Rabbath “ Idee ist für Schüler und Erwachsene, dass sie sehr schnell in einem Orchester erfolgreich und sauber viele schwere Passagen spielend ( und spielerisch ) beherrschen können, die ihnen auf dem herkömmlichen Weg mit vielem Üben vermutlich nie zur Verfügung stünden. Das gilt auch für das Cello.

Von der Einsamkeit der Neugierigen

Galileo Galilei und mit ihm viele andere Wissensdurstige haben sich bestimmt über die Folgen ihrer Neugier gewundert : Androhung von Folter und Tod war einmal die Antwort auf Neugier mit Erkenntnis. Folter geht heutzutage nur noch indirekt in Form von Mobbing. Was sagt der Zwerg Gwimlin im Herrn der Ringe in der ausweglosesten Situation: Wenig Aussicht auf Erfolg, den Tod als Gewissheit, worauf warten wir noch. Zumindest das Gefühl vieler Solopositionen in Orchestern vermittelt das folgende Gefühl: dann zieh dich warm an. Du bist einsam und auf verlorenem Posten, wenn du dem nicht widerstehst, denn du sitzt auf dem Posten, den eigentlich alle anderen haben sollten. Tun sie aber nicht, aber sie verhalten sich so. Das ist der Alltag.  Aber wenn du noch einen drauf setzt und den Kollegen erzählst, dass die Welt keine Scheibe, sondern eine Kugel ist, dann sei mental darauf vorbereitet, dass deine Situation nur wenige Jahrhunderte von der Situation Galileos entfernt ist.

Die positive Sicht davon: ich gehe nicht auf einen hohen Berg um dort Menschenmassen zu begegnen. Diese Einsamkeit geniesse ich, deswegen bin ich hier .Ausserdem liegt es in der Natur der Sache, dass besondere Leistungen nicht von allen erbracht werden  können.

1991 begann ich mit meinem Studium bei Francois Rabbath in Paris. Ein neuer Bogen, eine neue Technik, ich war wieder am Anfang. In Heidelberg als Solokontrabassist hatte ich regelmässig Kontrabasskonzerte aufgeführt und war im Jahr 1990 zum ersten mal mit mir selbst zufrieden. Aber dann mache ich mich aus Neugier wieder zum Anfänger. In Heidelberg wurde alles angezweifelt was ich aus Paris mitbrachte, ganz abgesehen von der grundsätzlichen Ablehnung. In dieser Zeit habe ich gespürt, dass es sehr viel leichter sein kann in der Masse mit zu schwimmen. Geholfen hat mir mein erster Lehrer und ein japanischer Haiku.

Der Lehrer: wenn du jetzt anfängst, dann frage nicht nach dem Ende. Mache einfach deine Hausaufgaben für die nächste Stunde, dann bist du plötzlich angekommen und hast es nicht gemerkt.( Das passt doch gut, es lässt sich auch so ausdrücken: Der Weg ist das Ziel ).

Der Haiku: “ Was, du willst auf den Fujijama kleine Schnecke ? Aber langsam, aber langsam“ Wenn ich vor dem Berg stehe und hinauf soll, dann werde ich sagen: das kann ich nicht. Gehe ich aber einfach los ohne auf den Gipfel zu starren, dann werde ich plötzlich oben sein und habe es nicht gemerkt.

 

 

 

„Weltmusik “ von und mit Francois Rabbath

Die Entstehungsgeschichte von Francois Rabbath’s phantasievollen Weltmusikstücken soll hier erzählt werden. Eigentlich hat Bertold Brecht sie schon vor vielen Jahren in seinem Gedicht “ Legende von der Entstehung des Buches Tao Te King auf dem Weg des Laotse in die Emigration „verbreitet.

Auf der Suche nach der “ Nouvelle Technique de la Contrebasse “ begann er auf seinem Instrument herumzuspielen. So entstanden spielerisch seine ersten Solostücke: Iberique Penninsulaire  ( imitiert  spanisch-folkloristischen Gesang auf dem Kontrabass ), Kobolds ( eine fetzige Jazz Nummer, die er oft mit zwei Schlagzeugern präsentiert hat ), Breiz ( Breiz ist der alte Name für Bretagne und imitiert einen Dudelsack ). Jedes seiner Solostücke hat einen spielerischen Hintergrund, entstand auf der Suche nach weiteren technischen und bogentechnischen Möglichkeiten. So spielte Rabbath vor sich hin: im Palais des Sports vor 5000 Zuschauern und zu Hause für sich und seine Schüler.  Das Rabbath conservatorywürde er vermutlich heute noch so machen, wenn ihm nicht Frank Proto über den Weg gelaufen wäre. Er hat Francois genötigt, das alles aufzuschreiben. Frank Proto hatte damals schon seinen eigenen Verlag : Liben Music. Dort wollte Proto die Musik von Rabbath veröffentlichen. Seitdem ist uns, den Kontrabassisten diese Sammlung erst zugänglich.  Ein Freiburger Kollege hat vor vielen Jahren mit einem Solostück von Francois sein Probespiel bestanden. In den achtzigern gehörte seine Musik noch zu einem Insider Geheimtip.

Ich habe in den ersten zwölf Jahren beim Philharmonischen Orchester Heidelberg viele Kontrabass Konzerte mit unserem Orchester aufgeführt und zu meinem Leidwesen stand in den Kritiken entweder “ das Erstaunen darüber, dass so etwas auf dem Kontrabass möglich ist “ oder aber der Aufschrei:2 Hilfe, die Möbelpacker kommen „. Nachdem ich die Solostücke von Francois entdeckt hatte änderten sich schlagartig auch die Reaktionen im Publikum : es war mit Rabbath’s Musik sofort spürbar, dass dies Musik vom und für den Kontrabass ist und in Kritiken wurde auch über Musik geredet.

 

 

 

Als er siebzig war und war gebrechlich,Drängte es den Lehrer doch nach Ruh’,Denn die Weisheit war im Lande wieder einmal schwächlichUnd die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.Und er gürtete den Schuh. Und er packte ein, was er so brauchte: Wenig. Doch es wurde dies und das. So die Pfeife, die er abends immer rauchte. Und das Büchlein, das er immer las. Weißbrot nach dem Augenmaß. Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es, als er ins Gebirg den Weg einschlug. Und sein Ochse freute sich des frischen Grases. Kauend, während er den Alten trug. Denn dem ging es schnell genug. Doch am vierten Tag im Felsgesteine hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt: „Kostbarkeiten zu verzollen?” „Keine.” Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.” Und so war auch das erklärt. Doch der Mann in einer heitren Regung fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?” Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. Du verstehst, das Harte unterliegt.” Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre, trieb der Knabe nun den Ochsen an. Und die drei verschwanden schon um eine schwaerze Föhre. Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann Und er schrie: „He, du! Halt an!” „Was ist das mit diesem Wasser, Alter?”Hielt der Alte: „Interessiert es dich?” Sprach dem Mann: „Ich bin nur Zollverwalter, doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich. Wenn du’s weißt, dann sprich!Schreib mir’s auf. Diktier es diesem Kinde! So was nimmt man doch nicht mit sich fort. Da gibt’s doch Papier bei uns und und Tinte und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort. Nun, ist das ein Wort?” Über seine Schulter sah der Alte auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh. Und die Stirne eine einzige Falte. Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu. Und er murmelte: „Auch du?”Eine höfliche Bitte abzuschlagen war der Alte, wie es schien, zu alt. Denn er sagte laut: „Die etwas fragen, die verdienen Antwort.” Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.” „Gut, ein kleiner Aufenthalt.” Und von seinem Ochsen stieg der Weise, sieben Tage schrieben sie zu zweit. Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise mit den Schmugglern in der ganzen Zeit). Und dann war’s so weit. Und dem Zöllner händigte der Knabe eines Morgens einundachtzig Sprüche ein und mit Dank für eine kleine Reisegabe bogen sie um jene Föhre ins Gestein. Sagt jetzt: kann man höflicher sein? Aber rühmen wir nicht nur den Weisen, dessen Name auf dem Büchlein prangt! Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen. Darum sei der Zöllner auch bedankt: Er hat sie ihm abverlangt.

 

Will ich den „Flow“ beim Spielen ? Zur Leichtigkeit des Seins am Kontrabass

Tradition kontra Fortschritt ?  Warum kontra ? Nehmen Sie beides. Jede Veränderung schafft Unruhe, weckt Ängste, dass das Alte nicht gut genug ist. Kolumbus hat neue Kontinente entdeckt und den alten aus den Augen verloren. Aber er kam zurück. Neues ist zunächst auch eine Bereicherung und je mehr ich kenne, desto freier bin ich zu entscheiden, was mir nützt. In der World of Basses geht es oft immer noch skurril vor sich her. Auf einer Kontrabass Woche habe ich erlebt, dass Professoren ihre Studenten mitbrachten, die sich dann nicht trauten von anderen Dozenten Ideen zu übernehmen und auszuprobieren, ob sie für den Eigenbedarf von Nutzen sein könnten. Zumindest ist eine weitere Möglichkeit eine Alternative, denn dann habe ich zwei zur Auswahl. Simandl und Co bieten da eine Sicht auf den Kontrabass, die ca 150 Jahre alt ist und immer noch als Grundlage benutzt wird.

Ich kenne Verfechter des Bass Spiels die  möglichst auf einer Saite spielen ( der G-Saite ) wegen des homogeneren Melodieklangs. Das hängt von den Saiten ab, denn herkömmliche Saiten klingen in den hohen Lagen auf den tieferen Saiten nicht und sauber spielen ist da schon gar nicht möglich. Da können die Saiten vermutlich gar nichts dafür, denn ich erlebe bei Aushilfsengagements in anderen Orchestern Saitenlagen, die schon in der gewöhnlichen Lage einen guten Klang unmöglich machen und das ist der Standard.

Also doch kontra ? Nein, ganz im Gegenteil, ich halte hier eine Einrede für die Schlechten und Minderbegabten, die auch gerne Musik machen oder den Bass als Beruf leben möchten. Die haben ein Problem, so wie ich es hatte: unendlich viel üben mit geringem Erfolg. Meine Bewunderung gilt also allen, die mit viel Arbeit so großen Erfolg haben. Wieviel Erfolg hätten sie, wenn sie den Bass spielen würden ?

Michael Schneider betrachtet Gustav Mahler’s Kontrabass Solo in der ersten Symphonie

Wir sind alle Kinder unserer Zeit, aber manchmal fallen wir auch heraus. Wann geschieht das ?  Kontrabass Studium. Dann kommt Anton Bruckner dran. In seinen Symphonien gibt es Passagen die sich in die Höhe schrauben, über die Oktave der leeren Saiten hinaus. Ich übe ( es war um 1978 ) und dann kommt der Moment wo es so nicht mehr weiter gehen kann. Mein Lehrer Willi Beyer zeigt mir wie es geht: der Daumen kommt zum Einsatz : die Stelle geht wie geschmiert. Dann geht die Musik wieder abwärts. Dann kommt der Moment, wo man wieder normal nach Simandl spielt: ohne Daumen. Das habe ich nie verstanden, es ginge noch lange abwärts mit dem Daumen, ohne Gespringe.

Aber es geht doch um Gustav Mahler ? Fragt der Leser. Bruder Jakob in Moll. Darum geht es. Aber auf einer Saite bitte. Im Studium habe ich schon vorab darunter gelitten. Mir wurde erzählt, wie der und ein anderer daran gescheitert sind, abgestürzt. Oder einfach, wie unsauber manche Aufnahmen klingen. Diese Impfung sitzt. Acht Takte Pauke. Nur die Pauke und du weisst: alle warten auf dich. Nicht auf die Musik. Die wird sowieso nichts. Aber ob du das schaffst. Ein Gang zum Schaffot. Selbstmord sozusagen. Und auch noch freiwillig. Ganz so sehen es manche Seelen von Solobassisten dann doch nicht. Schon manche ihrer Körper wollten sich das nicht antun und wurden krank. Mit Thomas Zoller habe ich das Koussevitzky Kontrabasskonzert einmal konsequent aus der Sicht der Nouvelle Technique de la Contrebasse durchgefingert. und es hat funktioniert. Aber so spielt „man“ eben nicht Kontrabass. Mit Meike Krautscheid habe ich das Dittersdorf Konzert ebenso bearbeitet. Ganz ohne leere Saiten wird es dann über vier Saiten gespielt und bedarf quasi einer perfekten Bogentechnik. Wer es kennen lernen möchte sei an dieser Stelle eingeladen bei mir nachzufragen.

Und lange vor meiner Zeit bei Francois Rabbath sehe ich meinen  Mentor im Fernsehen. Was macht er da ? Der spielt das Solo einfach in der Daumenlage. Und das klingt auch noch viel besser als alles vorher Gehörte. ( Bottessini spiele ich ehrlich gesagt auch nicht auf einer Saite ). Diesen Fernsehauftritt habe ich mir gemerkt. Viel besserer Klang bei viel weniger Arbeit und noch weniger Stress.

Nun bin ich Heidelberger Solokontrabassist und muss, nein, Verzeihung: ich darf das ab und zu spielen. Eine Freude, weil ich es nie übe.  Im Publikum in der Heidelberger Stadthalle wurde meine Frau immer wieder angesprochen: das hat ihr Mann doch schon wochenlang vorher geübt. Nein, falsch: das übe ich nie. Da lacht sich doch jeder Geiger schlapp, Bruder Jakob in Moll. Und deswegen wird man krank ?

Es gibt einen Autograph vom Schumann Cello Konzert: alles über die Saiten. Ob es heute besser klingt mit einem falschen Ehrgeiz ?

 

Bass Spielen – ein unendlicher Spass für Michael Schneider

Ich wurde immer wieder wegen meiner Bemerkungen  in meiner “ Vita “ bezüglich der Geschwindigkeit gefragt, warum ich schnell spielen will. Das Geheimnis liegt nicht im Tempo, sondern in der Raum-Zeit-Bewegung. Wenn ich meine Wege auf dem Instrument verkürze, dann wird der Raum den ich durchschreiten muss kleiner, kürzer und auch die Bewegungen werden reduziert auf Fingerbewegungen. Nutze ich das nicht aus, dann habe ich auch immer große Armbewegungen und viele Lagenwechsel. Das bedeutet, viele Probleme und Arbeit um die Musik herum. Das Ziel der Rabbath-Technik ist für mich die “ kunstlose Kunst „. Die Musik kann ich aber nur fliessen lassen, wenn ich Zeit für die Musik habe, andernfalls bin ich mit anderen Problemen beschäftigt und habe keine Zeit für die Musik.

Noch einmal zum Thema Geschwindigkeit: Eine Geigen Kollegin sprach mich während einer Mozartoper an und teilte mir die Bewunderung ihrer Eltern mit, die im oberen Rang gegenüber von uns sassen. Sie staunten darüber, wie schnell ich spielen kann. ( Meine spontane Antwort: ja schneller als die Geigen ) Das ist ja nicht der Sinn des Zusammenspiels, dass irgendeiner früher fertig ist und dann wie in einem Comic von Sempé der Geiger früher nach Hause geht, weil er heute mal wieder schneller als die anderen gegeigt hat.  Es kann sich also nur um einen optischen Eindruck handeln. Diesen optischen Eindruck vermittelt Francois Rabbath’s Technik  in den Videoaufnahmen von den Paganini Variationen von Frank Proto. ( Nine Variants on  Paganini for  Double Bass and Piano, Liben Music Publishers ) Während der schnellsten Passagen scheinen die Bewegungen kleiner und ruhiger zu werden. Die Überwindung grosser Entfernungen auf dem Kontrabass, verbunden mit vielen Lagenwechseln kann optisch wie musikalisch nicht die Ruhe ausstrahlen, die ein anderes Spiel-Denken mit sich bringt.

Wie sieht das im Alltag, im Orchester aus ? Z.B. Beethovens Pastorale: da zieht ein Gewitter auf und es gibt jede Menge zu tun. Versuche ich die Sechzehntel Läufe auszuspielen, dann kann ich eigentlich gleich die sog. Mannheimer Schule verwenden: alles mit einem Finger rauf und runter. Mache ich es mit Rabbath, dann lege ich den Daumen auf den ersten Ton der jeweiligen Sechzehntel und spiele die Gruppe mit den übrigen Fingern aus. Kommt dann die nächste Gruppe, so schiebe ich den Daumen auf den Grundton und spiele genau so weiter. Bewegen muss ich mich dafür also nicht und es sieht  leicht aus, ist schneller, weil jeder Finger immer schon da ist und ich mich nicht erst dort hinbewegen muss.  Dabei spiele ich natürlich auf den tieferen Saiten in höheren Lagen, so dass für den Laien schon mal der Eindruck entstehen kann, dass ich eine ganz andere Stimme spiele, weil ich mich fast gar nicht bewege aber zumindest die Ruhe selbst bin.

Warum neue Ideen so neugier-resistent sind, das steht alles in dem Buch von Gerald Hüter in der „Gebrauchsanweisung für das menschliche Gehirn“

Cello und Kontrabass als ganzheitliches Spiel im Flow

Handelt es sich dabei etwa um esoterischen oder spirituellen Unterricht ?  Zen in der Kunst des Bogenschiessens von Alfred Herriegel gehört für philosophisch Interessierte durchaus dazu, ist aber kein Muss.

Der herkömmliche Unterricht beginnt ganz unten. Das Ziel ist das andere Ende, die schwindelnden Höhen am Ende des Griffbretts. Wie kommt man aber dort hinauf ? Klettern. Wie in den Bergen, Step by Step, dann ist man irgendwann oben. Hier gibt es nichts Ganzheitliches. Weder auf dem Berg noch beim herkömmlichen Unterricht.  Francois Rabbath ging andere Wege, weil ihm niemand vorgeschrieben hat, wie es zu machen sei.  Wenn ich in der gewöhnlichen Lage etwas spielen kann, ( beim Cello wie beim Bass ), dann kann ich es auch mit kleiner Änderung der Fingersätze in der Oktave spielen. Der Daumen wird zum Obersattel und bekommt die quasi leeeren Saiten geschenkt. D.h. der Daumen muss nicht drücken, weil die Flageoletts hier in der originalen Tonhöhe klingen wie gedrückte Töne. Und schon geht es weiter: Hat der Daumen ein wenig Hornhaut entwickelt lässt sich das Ganze leicht in eine andere Lage oder auf andere Zwischen-Töne verschieben. So kann ein Anfänger schon ab der zweiten Stunde in der Oktave spielen.

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Michael Schneider

In der gewöhnlichen Lage ist das A auf der G-Saite fast der höchste Ton. Gehe ich nun eine Oktave höher, dann habe ich das gleiche A auf der dritten Saite als leere A-Saite und als tiefsten Ton. Also kann ich in der ersten Lage  bis zum leeren G spielen, springe mit dem Daumen auf die A-Saite in die Oktave und spiele leicht weiter in der zweiten Oktave. Es dauert nicht lange, dann kann der Schüler so die auch auf dem Bass bekannte Kreutzer Etude spielen. Das bewältigt gerade spielerisch eine Schülerin nach zwei Monaten. Dabei spielen die Tonarten mit der Zeit keine Rolle mehr, da das Denken mehr auf die Tonschritte fokussiert ist.. Wenn ich 13 Töne in einer Hand habe ( über vier Saiten ), dann geht es nicht mehr um unvermeidliche Lagenwechsel, sondern nur noch um Tonabstände. Beim Notenlesen sehe ich nur noch Tonschritte und -Abstände und setze die Finger entsprechend ohne meine Daumenposition verlassen zu müssen.