Entschleunigung im Wartesaal – Familiäres Konzert im Balinger Bahnhof – Ein ungewöhnliches Klavier. Unerwartete Interpretationen weihnachtlicher Lieder. Und ein außergewöhnlicher Konzertsaal: Uli Johannes Kieckbusch und Michael Schneider entschleunigten am Sonntag Abend im Kulturbahnhof die sonst so hektische Adventszeit. ( Am 7.12.2014 )

Balingen. So entspannt geht es im Wartesaal des Balinger Bahnhofs selten zu: auf der kleinen Bühne zwei Männer, einer am Cello, der andere an einem einzigartigen Klavier. Im Publikum über 40 Zuhörer. Drei Windhunde. Und immer wieder Zugreisende, die in der Wartezeit kommen, sich setzen, zuhören und mit einem Lächeln auf den Bahnsteig zurückgehen. „Weit und still“ nennt Uli Kieckbusch sein Programm, das er gemeinsam mit dem Heidelberger Michael Schneider auf die Bühne gebracht hat.
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Weit war der Weg, den so manches Stück zurückgelegt hat. Der Mann am ‚Una Corda‘, wie das vom Balinger David Klavins gebaute Instrument heißt (einzigartig in der Welt, übrigens) und sein Kollege am Cello spielten neben Eigenkompositionen Weihnachtslieder aus Frankreich und Spanien, Schlesien, Polen, Portugal. Vieles unbekannt, immer aber neu interpretiert. Überraschend auf jeden Fall und immer dann ein Lächeln ins Gesicht der Zuhörer zaubernd, wenn aus den fließenden, perlenden Tönen bekannte Melodien auftauchten.
Still war die Athmosphäre. Selbst die drei Windhunde von Cellist Martin Schneider lagen tiefenentspannt auf ihrer Decke und lauschten Herrchens Konzert. Nun gut, der Chef im Rudel bellte zwei Mal, was aber auch als Applaus gewertet werden kann. Dafür sorgte die Dämpfung am Una Corda dafür, dass man ein Klavier so leise wie noch nie zuvor zu hören bekam.
Glühwein und Weckenmänner servierten die Initiatoren, Gabi und Peter Seifert, in der Pause. Passend zur familiären, entschleunigten Stimmung. Kulturbahnhof eben. Im besten Sinn.
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Im besten Sinn unkonventionell auch die Interpretationen des Duos. Überraschend, wie viel Blues in einem uralten Weihnachtslied steckt. Unerwartet, wie träumerisch ein Adventsklassiker gespielt werden kann. Ungewöhnlich, ganz positiv gemeint, und herrlich anders. Und ganz familiär: die Zugabe spielten Kieckbusch und Schneider für den Erfinder des Klaviers mit den offenen Saiten, der auch unter den Zuhörern war.
Die nächste Veranstaltung im Kulturbahnhof ist am 27. Dezember. Der aus Balingen stammende Fotograf Matthias Steinbach zeigt ab 20 Uhr eine ‚fotografische Kurzgeschichte‘ aus den Slums und Kriegsgebieten in Afrika. ​​Silke Thiercy
Photos von Silke Thiercy

Michael Schneider, Cellist aus Heidelberg im Duo mit Uli Kieckbusch, Klavier mit Weihnachtsliedern aus aller Welt im Kulturbahnhof Balingen am 7. Dezember 2014. Uli Kieckbusch spielt das “ Una Corda Klavier “ von Klavins aus der Klavier Klinik Balingen.

“ Still und weit “ nennt Uli Kieckbusch seinen Zyklus weihnachtlicher Lieder. Faszinierend neu, fremd ( und doch so vertraut ) präsentiert sich uralt-bekanntes in einem neuen Gewand, sprich: der echte Urgrossneffe von Johannes Brahms versteht sich auf neue Harmonisierung und dem Spiel in Dur und Moll – besonders dort, wo der Hörer es nicht erwartet. Dabei legt Uli Kieckbusch es nicht darauf an, provozierend neu zu sein. “ Still und weit “ signalisiert an diesem Abend inspirierende Einstimmung, noch ist Zeit, den Advent zu geniessen.
Die freien Improvisationen der beiden Solisten waren Musik der Stille, gespiegelt in den strahlenden Improvisationen der beiden Solisten. Woher wissen wir das? Bei den vielen strahlenden Gesichtern im Publikum kann es keine andere Antwort geben.
Das Besondere an diesem Abend war, dass Uli Kiekbusch ein Una Corda Klavier der “ Klavier Klinik Balingen “ spielte, ein von Herrn Klavins ( kein Schreibfehler ) entwickeltes Leichtklavier. Dieses ist mit nur jeweils einer Saite für jeden Ton bespannt. Es ist dadurch nicht so laut wie ein Flügel, aber für den Partner Michael Schneider am Cello war es eine wahre Weihnachtsfeier im Intonieren, die Auswahl zwischen drei Saiten für jeden Ton fiel an diesem Abend weg, Schwebungen können so dem Publikum als solche musikalisch klar dargestellt werden. Bei einem leicht dreistimmigem Ton ( wegen der Trio-Saiten für je einen Ton – beim herkömmlichen Klavier ) entsteht mit dem vierten Ton vom Cello oder einem anderen Soloinstrument ein „Klangquartett“ bei dem nur der Solist dann die Qual der Wahl zwischen drei Partnern hat.
Also : kein Instrument für Tastenlöwen und deren Musik.
Aber Uli Kiekbusch ist ein Tastenlöwe ganz anderer Art. Wendig, geschmeidig und sehr geschmackvoll im jeweiligen Stil einer Komposition und seiner dazu improvisierten Momente.
Ebenso berühmt wie gerühmt ist Michael Schneiders immense Improvisationsfähigkeit : Nach dem Konzert wollten Interessierte wissen, wie man denn das in Noten ausdrücken kann, was jedoch de facto improvisiert war.
Viel Dank für diesen vorweihnachtlichen “ Moment Musical “ gab es nach dem Konzert.
Michael Schneider dankt an dieser Stelle Gabi und Peter Seifert für Ihre wunderbare Gastfreundschaft. Und mein besonderer Dank gilt Uli Kieckbusch, dessen Kompositionen und Arrangements ich sehr liebe.
Aber dass ich an diesem Abend die schönsten und auch einfachsten Melodien kombinieren durfte mit der freien Improvisation im Dialog mit diesem genialen Pianisten und Komponisten, das war und wird sein mein grösstes Weihnachtsgeschenk. Sie brauchen mir also keine Weihnachtsgeschenke mehr zu bringen, der 24. Dezember war auf den 7.12.2014 in den Kulturbahnhof Balingen vorverlegt. Und wenn Sie nicht da waren, dann haben Sie gerade Weihnachten verpasst.