Reisender auf dem Pfad der Nachdenklichkeit

Im Alter von 13 Jahren sass ich täglich nachmittags im Fensterrahmen meines Zimmers und übte Gitarre. Schnell wurde ich für schwul erklärt, weil ich mich nicht um Freundinnen gekümmert habe. Mit 24 Jahren bekam ich die Möglichkeit, noch Kontrabass zu studieren. Ich brach mein Lehrer-Studium in Hamburg ab und begann täglich konsequent 8 Stunden zu üben. Wieder wurde ich für verrückt erklärt, auch zunächst von meinen Eltern, besonders aber von meinen musikalischen Freunden. Denn ich hatte beschlossen ihnen zu sagen: wenn ich meine 8 Stunden geübt habe, dann können wir wieder Musik machen und Tee trinken.1991 begann ich mein zweites Kontrabass Studium bei Francois Rabbath in Paris. Diesmal wurde ich von meinen Kollegen für verrückt erklärt. Vier Jahre totales Mobbing waren das Ergebnis. 2013: meine begeisterte Unterstützung unseres derzeitigen Generalmusikdirektors beim Philharmonischen Orchester Heidelberg bewirkte ähnliche Reaktionen.

Was haben diese Etappen, diese Schnittpunkte in meinem Leben gemeinsam? Neugier. Freiheit. Innovation. Hunger. Was für große Worte von einem kleinen Solo Bassisten aus Heidelberg. Und die Moral von der Geschichte? Wen interessiert das? Im zweiten Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Heidelberg hatten wir den Gastdirigenten John Carewe am Pult. In einer Probe erwähnte er, dass Musik immer hungrig sein muss. Das ist vermutlich das Musizieren über die schlichte Tätigkeit hinaus. Aber welcher Hunger ist das genau? Satt sind wir alle, besonders kurz vor der Rente, wenn wir alle ein paar Kilo zu viel haben. Nein, es muss ein anderer Hunger sein. Ist es der Hunger des Internationalen Bruckner Journals, das eine Aufführung unter der Leitung von Yordan Kamdzhalov als traumhafte Interpretation gelobt hat. Oder ist es die traumhafte Dynamik des Philharmonischen Orchesters Heidelberg, das bei der Dionysos Produktion so leise gespielt hat, dass es den Kritikern der Zeitschrift: „Opernwelt“ den Atem verschlagen hat, sodass sie als Produktion des Jahres 2013 bewertet wurde. Ob da die Berliner Philharmoniker vor Neid erblassen? Vermutlich kann diese Leistung nur so ein Jahrhundert Dirigent wie Yordan Kamdzhalov hervorbringen.

Ich habe bei John Carewe nachgefragt, was er genau mit der „hungrigen Musik“ meinte. Hier ein Auszug aus seiner Antwort:

“ My idea is so very simple. Most musical phrases move to a ‚high point‘ at or near the end of the phrase. So we must move the music towards that point. Then each group of phrases moves in a similar way to another (more important) high point. And so on. What I mean by being hungary is simply I want the orchestra to avoid being ’static‘, to phrase forwards. To want to ‚eat‘ the coming music!! It has nothing to do with Social Security „!!!!!!“

Wenn ich jetzt hier anderen Dirigenten Unrecht tue, dann nur aus Unkenntnis, aber nicht aus Absicht. Woher weiss ich das alles? Beziehungsweise: woher meine ich das zu wissen? Als ich noch Bottessini Kontrabass Konzerte übte, da wurde ich von meiner damaligen Schwiegermutter immer wieder mit der Frage konfrontiert: warum müssen Kontrabässe immer so hoch spielen? Als ich dann die Musik von Francois Rabbath kennen lernte und bei ihm studierte, da hörte sie eine Aufnahme von Francois Rabbath mit einem Konzert von ihm komponiert und gespielt. Eine plötzliche Kehrtwende: was ist denn das für fantastische Musik? Keine Frage: warum das so hoch sein muss! Antwort und Lösung: es sind die Klangfarben, das Timbre in der Musik. Und die Leichtigkeit. Die Rabbath Technik gibt mir die Möglichkeit dazu. Rabbath gehört auch zu den „hungrigen“ Musikern dieser Welt.

Nota bene: Den Titel dieses Artikels habe ich mir von Fritz Mühlenweg ausgeliehen. Fritz Mühlenweg hat vor ca 60 Jahren einen berühmten Jugendroman geschrieben: „In geheimer Mission durch die Wüste Gobi“. Einer seiner Erzählbände trägt den oben zitierten Titel.

 

 

Über Wert und Unwert !

Kürzlich fragte mich eine ehemalige Schülerin, ob ich ihr ihren schrecklichen Bass doch reparieren könne. Sie war bei einem namhaften Kontrabassbauer und Reparateur und der hielt ihren Bass für einen Fehlkauf und für einen hoffnungslosen Fall. Michael Schneider ist kein Kontrabassbauer, aber ein Reparateur. In erster Linie bin ich aber Musiker und sozusagen Handwerker. Und als solcher behaupte ich, dass der Wert eines Kontrabasses, beziehungsweise sein „Unwert“ von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden sollte. Ich nehme einmal an, meine Erfahrung bestätigt dies, dass Geigenbauer Instrumente von ihrem Wert, beziehungsweise Verkaufs- oder Wiederverkaufswert aus betrachten. So bringt ein Bodenriss oder ein Deckenriss, oder noch schlimmer ein Stimmriss eine Wertminderung von bis zu 50 manchmal auch bis zu 100 %.

Wenn ich ein Instrument also als Wertanlage zu meiner Bereicherung betrachte, dann muss ich sehr wohl schauen auf die Anzahl der Risse und die Qualität des Instrumentes aus der Sicht eines Geigenbauers. Aus meiner Sicht ist ein Streichinstrument zunächst einmal nur eine Holzschachtel mit Saiten daran. Was ich davon erwarte, das hängt von meinen Ansprüchen ab. Mit einer einfachen, zusammen genagelten Holzkiste brauche ich mich bei den Philharmonikern in Berlin bestimmt nicht vorzustellen. Dieter Seiferling habe ich seinen Sperrholz Bass mit voller Holzdecke so eingerichtet, dass er schon seit langem besser klingt als mein teurer alter Antoniazzi Bass. Zumindest hört sich das in meinen Räumen so an. Im Konzertsaal weiß ich, dass es sich dann wieder sehr anders anhört. Wenn also der Marktwert eines Kontrabasses gleich Null ist, dann kann ich trotzdem für den Spieler das Instrument so herrichten, dass er sich mindestens wie ein kleiner Philharmoniker fühlt. Das sind bei Benutzung von Corelli, beziehungsweise Genssler Saiten und einer von mir sehr niedrig eingestellten Saitenlage, die das Spielen auf dem gesamten Griffbrett ermöglicht, alles Faktoren, die man mit dem Instrument nicht kauft, sondern sich nebenbei holen kann. Natürlich bewirken meine Bemühungen niemals, dass aus einem Kontrabass eine Stradivari Geige wird. Diese Schülerin, von der ich anfangs erzählte, die musste irgendwann einmal an dem Instrument Gefallen gefunden haben. Für mich muss ein Bass sehr ansprechend sein, in der Farbe, er muss einen Typen darstellen, denn meistens stehe ich ja alleine auf der Bühne. Und wenn ich mit den Heidelberger Philharmonikern auftrete, dann sitze ich mit meinem Bass vorne im Rampenlicht. Obige Schülerin will aber nur im Uniorchester oder in irgend einem anderen Hobbyorchester mitwirken. Da ihr irgendwas einmal optisch oder sonstiges an dem Instrument gefallen hat, wird er in dieser Hinsicht auch jetzt noch seine guten Dienste tun. Den Rest, den sie persönlich zum Spielen braucht, den holt sie sich jetzt bei mir. Wenn Sie dieses Instrument also nicht als Geldanlage gekauft hat, dann kann es durchaus noch passieren, dass dies ihr absolutes Lieblingsinstrument wird. Selbstverständlich nicht in finanzieller Hinsicht.

Aber auch für Kontrabässe gilt der uralte Spruch: jeder Topf findet auch seinen Deckel.