Der Heidelberger Frühling in Sinsheim. Flüchtlingsheim Breite Seite Nummer drei. Der Profi war wieder bei seinen Freunden zu Besuch.

Der ehemalige Abteilungsleiter der Kontrabässe im Philharmonischen Orchester Heidelberg hat sich in den letzten Jahren immer mehr vom Solo Kontrabassisten zum Solo Cellisten gewandelt. Seine wöchentlichen Konzerte umspannen ein breitgefächertes Programm von Renaissance bis Popmusik für Cello Solo.
Bis hierher dachte Michael Schneider noch, diese Cello Musik ist eigentlich für junge Menschen aus Gambia, Syrien oder Afghanistan , viel zu anstrengend. Anstrengend, weil unbekannt und wenig vertraut.
Heute bei dem schönen Wetter waren nicht allzu viele Zuhörer zu sehen.
Aber auch schon inzwischen vertraute Gesichter, darunter zwei meiner neuen Gitarren Schüler, die von mir nach dem 70-minütigen Konzert noch Gitarrenunterricht erhalten.
Es ist inzwischen so, dass ich mich daran gewöhnen muss, dass diese jungen Menschen begeistert und sehr konzentriert zuhören können.
Meine immer mal wieder gestellte Frage, ob sie noch mehr hören möchten wurde einhellig und durchgängig mit Ja beantwortet.
Nach 50 Minuten tauchte meine bekannte Frage wieder auf, die Asim, ein junger Mann aus Syrien so kommentierte: You don’t make me tired.
Das könnte dann die Running Gag Frage für die Zukunft sein.
Nein, sie sind mit klassischer Musik nicht müde zu kriegen. Ein junger Mann aus Gambia sitzt die ganze Zeit Kopf über gebeugt vor seinem Handy und guckt oder schreibt irgendetwas.
Aber nach jedem Stück gibt es besonders von ihm begeisterten Applaus und ein strahlendes Gesicht.
Danach ist sein Kopf wieder in seinem Handy verschwunden. Zwischendurch verlässt auch der eine oder andere den Raum. Na gut, denke ich, jetzt hat er doch die Nase voll, das kann ich auch gut verstehen. Aber nein, jeder von ihnen kommt wieder zurück, waren vermutlich nur mal eben telefonieren. Ich stelle immer mehr fest, dass meine neuen jungen Freunde total in Ordnung sind und sehr konzentriert bei der Sache, aber eben auf ihre Weise, an der es auch gar nichts auszusetzen gibt, ganz im Gegenteil. Korrigieren muss ich meine Vorstellungen, die ich mir so ganz insgeheim für mich gemacht hatte.
So bin ich heute, einen Tag später beim Schreiben dieses Berichtes immer noch erstaunt darüber, dass besonders die Ricercari von Gabrieli und Degli Antonii besondere begeisterte Aufmerksamkeit erhielten, ebenso wie die schnellen Sätze aus den Bach Suiten.

Der Solokontrabassist Michael Schneider spielt Cello. Dabei geht er nicht einmal fremd: Er ist Rentner und kann machen was er will. Das tut er sowieso schon immer. Und jetzt erst recht für Flüchtlinge.

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Lesen Sie hier mehr: Michael Schneider geht nicht nur regelmässig in ein Flüchtlingsheim in Sinsheim, der berühmten “ Breiten Seite Nummer drei „, er gibt dort auch noch gratis Gitarrenunterricht – ob es dabei bleibt, das wird sich zeigen – er ist auch zu Erweiterungen bereit: andere Instrumente unterrichten, gemeinsames Musizieren mit Flüchtlingen, Konzerte für die Flüchtlinge geben ? Alles inklusive um von unserem unverschämten Reichtum etwas an die Opfer zurückzugeben, die durch uns auf der Strecke geblieben sind.
Michael Schneider geht oft in Schulen, als “ Profi zu Besuch „. Einmal Profi – immer Profi. Also wird er das auch weiterhin tun. Immer wieder taucht dann die Frage auf, wie lange ich schon Musik mache. Dann antworte ich: 5000 Jahre. Gelächter: das kann doch gar nicht sein. Dann erzähle ich ihnen eine Geschichte von den chassidischen Juden. Die glauben, dass die Seele eines Menschen, bevor sie wieder reinkarniert wird, über eine Brücke gehen muss. Auf dieser Brücke steht ein Engel, der sagt: vergiss alles was du in den letzten 5000 Jahren gelernt hast. Die Seele vergisst und wird reinkarniert. Diese Juden glauben nun, dass es unsere Aufgabe in diesem Leben ist uns zu erinnern. Zu erinnern, warum wir hier sind, was hier in diesem Leben unsere Aufgabe ist.
Soweit die Geschichte.
Ich habe mich mit elf Jahren daran “ erinnert „, dass Musik mein Leben ist und habe dies seitdem konsequent verfolgt.
Danach lacht keiner mehr von den Schülern. Die meisten verstehen die Meta-Ebene dieser Erzählung, wahr kann auch sein, was nicht so konkret ist.
Und was verstehen die Flüchtlinge in Sinsheim, wenn sie Musik auf dem Cello und dem Bass hören, Musik von Johann Sebastian Bach, Weltmusik von Francois Rabbath ?
Ich wiederhole mich : meine Betreuerin vom DRK Rhein Neckar erzählt mir: diese jungen Männer befinden sich im Krieg. Ich kann mir das nicht vorstellen. Wir in Deutschland sind seit über 70 Jahren kriegsfreie Zone, für mich das selbstverständlichste auf der Welt.

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Das Bild das Sie hier sehen wurde aufgenommen nach dem Konzert im Oktober im Querklang am Berghang, nach der Lesung mit Nicoleta Craita Ten’O und ihrem Verleger Alfred Büngen.
Ich gebe hier noch einmal eine Selbstdarstellung von Nicoleta wieder, die für mich das beeindruckendste Dokument menschlicher Dankbarkeit darstellt, die ich mir in unserem reichen Land vorstellen kann, von einem Menschen, der Erlebnisse hat, die unsere vorstellbaren Dimensionen sprengen. Verfolgen Sie den nächsten Artikel: Nicoleta über sich.